04.07.2024, 10:16 - Wörter:
Buch I: Kaltes Herz
Die Welt besitzt ein kaltes Herz.
So sagen es zumindest die alten Professoren auf der Akademie der magischen Künste, müssen Sie wissen. Freilich sind dies nur größtenteils die Hirngespinste alter, verwirrter Männer mit grausigen Bärten, die zwischen dem letzten Ale und dem ersten Brandy des Morgens die Geschicke der modernen Welt berieten. Und so etwas galt es nicht nachzustreben. Das Streben nach Wissen heizt die Menschheit seit dem Herauskriechen aus ihren Höhlen mehr und mehr an. Seit Entdeckung der Magie wurde es umso stärker und wirrer, wenn man es so sagen darf. Die Gesuche nach Begleitung, Wertschätzung und Anerkennung wurden geradezu astronomisch und man kettete sich freiwillig an die Mauer des Schweigens, wenn es etwas zu berichten galt.
So oder so ähnlich dachte der junge Mann, der in völliger Schwärze aus seinem traumlosen Schlaf erwachte.
Das lockige Haar klebte ihm von der rauen Nacht am Kopf und der Kragen um seinen Hals war ihm erbärmlich eng. Sorgsam versuchte er, einen Daumen seiner langfingrigen Hände zwischen Hals und Kragen zu schieben und riss dabei die Fliege entzwei, die man sorgsam gebunden hatte.
"Eselspisse!", zischte er und sacht verhallte die Stimme im Raum ohne Echo.
Moment!
Kein Echo? Aber Räume besaßen immer ein Echo. Zumeist kaum zu hören, aber wenn man sorgsam darauf achtete, war es dort. Doch hier...Keins. Langsam tastete sich der junge Mann, dessen Name Nathaniel William Thorne lautete, in der Dunkelheit zur Seite heran. Er kam nicht einmal eine Elle weit, ehe er mit beiden Armen gegen etwas Raues und Hartes stieß. Vorsichtig glitten seine Fingerkuppen über das Grobe und hinterließen ein seichtes Schaben.
Ausatmend befühlte er den Untergrund, auf dem er geruhsam lag. Weich...Ein Kissen, oder nicht? Dem Stoff nach war es Seide, die sich wasserartig seinen Fingern entzog. Das Atmen in dem Raum fiel ihm schwer, war jedoch nicht unangenehm, doch...Etwas stimmte nicht.
Mit einer kurzen Bewegung seines Oberkörpers gedachte der Mann sich, in die aufrechte Position zu bringen, ehe er auch hier nach nicht einmal einer Elle Abstand gegen etwas Hartes und Raues stieß.
Ein Schmerzenslaut entrang sich seinen Lippen, ehe er zurück ins Dunkel und die sanfte Seidigkeit des Kissens fiel.
"Bestens...", murmelte er und rieb sich die Stirn. "Ein Sarg. Natürlich."
Natürlich.
Nun, es wäre sicherlich zu bemerken, dass Thorne schon öfter in grausigen und ungewöhnlichen Orten (genannt sei hier unter anderem der Traualtar von St. Marys und das Tulpenbeet der Königin Victoria) erwacht war. Und doch war das Makabre stets nur ein Begleiter dieser Szenerien. Das hier jedoch war anders. Ein Sarg? Warum erwachte Nathaniel in einem Sarg? Noch dazu in einem mit so grässlich kratzenden Wänden? Man hätte ihm wenigstens Ebenholz oder dergleichen zur Verfügung stellen können. Das hier fühlte sich an wie der hinterletzte Totenbaum aus dem Westen Afrikas. Nicht, dass diese nicht auch ihren Reiz hätten, aber Himmel...
Mit einem Seufzen klopfte er von innen an das Holz über seinem Kopf.
"Hallo? Ist da Jemand?!", rief er mit krächzender Stimme aus seinem Gefängnis heraus.
Minutenlang herrschte Stille.
Bestens.
Keine Seele in der Nähe und er in einem verfluchten Sarg, der nach altem Alkohol und Schweiß roch. Gut, vielleicht mochte das letzte auch er selbst sein. Ärgerlich und lästig, dachte Thorne und atmete durch. Sanft formte er die Finger in komplizierten Bewegungen bis sie in der Folge die Anmut eines Schlüssels annahmen, mit dem Mittelfinger als Führungsfinger. Sanft legte er die Spitze des Fingers mitsamt der grotesten Handstellung der anderen an dass Holz des Sarges und drehte es mit einem Impuls seiner Aura um neunzig Grad.
Krachend löste sich der vernagelte Deckel, indem die Nägel selbst beinahe freiwillig aus dem Holz sprangen.
Mit einem Ächzen, das dem Stöhnen eines brünftigen Hirschbocks gleichkam, schob er den Sargdeckel von innen auf und ließ ihn krachend zu Boden fallen. Fahles, Licht schien durch die Wolken Londons auf seinen Sarg hinab, der an einer stinkenden Uferstraße der Themse lag. Der Geruch von Brackwasser und Exkrementen ließ Thorne beinahe würgen, als er sich aus der seidigen Wohligkeit erhob und sich umsah.
Der Hafen. Bestens.
Sorgsam schlug er die verschwitzten Locken über seiner Stirn zurück und seufzte schwer. Wenn er diese Schankmaid zu fassen bekam, würde sie ihm das ein oder andere erklären müssen. Vor allem, was in diesem Drink enthalten war. Wie nannte sie ihn? Gorgonischer Schädelspalter?
Seinen Kopfschmerzen nach zu urteilen, hatte dies Ziel zumindest Erfüllung gefunden.
Langsam erhob er sich aus der Totenkiste heraus und trat auf festen Boden, ehe er sich erneut umsah. Dem Antlitz nach war er am Verladehafen. Und das war ja nur eine Stunde zu Fuß entfernt bis zur Detektei.
Natürlich musste dies alles geschehen, wenn Trigg diese verfluchte Anzeige geschaltet hatte. Sofern es Bewerber geben würde, würden sie heute oder morgen aufschlagen. Und neben Schach hasste Nate Thorne nichts mehr als die Tatsache, nicht zu wissen, wer in seinem Haus verkehrte.
Mit einem letzten Seufzen trat er den Sarg in den Strom der Themse und begann seinen Fußweg mit einem Tritt in eine stinkende Pfütze.
Bestens.
Die Welt besitzt ein kaltes Herz.
So sagen es zumindest die alten Professoren auf der Akademie der magischen Künste, müssen Sie wissen. Freilich sind dies nur größtenteils die Hirngespinste alter, verwirrter Männer mit grausigen Bärten, die zwischen dem letzten Ale und dem ersten Brandy des Morgens die Geschicke der modernen Welt berieten. Und so etwas galt es nicht nachzustreben. Das Streben nach Wissen heizt die Menschheit seit dem Herauskriechen aus ihren Höhlen mehr und mehr an. Seit Entdeckung der Magie wurde es umso stärker und wirrer, wenn man es so sagen darf. Die Gesuche nach Begleitung, Wertschätzung und Anerkennung wurden geradezu astronomisch und man kettete sich freiwillig an die Mauer des Schweigens, wenn es etwas zu berichten galt.
So oder so ähnlich dachte der junge Mann, der in völliger Schwärze aus seinem traumlosen Schlaf erwachte.
Das lockige Haar klebte ihm von der rauen Nacht am Kopf und der Kragen um seinen Hals war ihm erbärmlich eng. Sorgsam versuchte er, einen Daumen seiner langfingrigen Hände zwischen Hals und Kragen zu schieben und riss dabei die Fliege entzwei, die man sorgsam gebunden hatte.
"Eselspisse!", zischte er und sacht verhallte die Stimme im Raum ohne Echo.
Moment!
Kein Echo? Aber Räume besaßen immer ein Echo. Zumeist kaum zu hören, aber wenn man sorgsam darauf achtete, war es dort. Doch hier...Keins. Langsam tastete sich der junge Mann, dessen Name Nathaniel William Thorne lautete, in der Dunkelheit zur Seite heran. Er kam nicht einmal eine Elle weit, ehe er mit beiden Armen gegen etwas Raues und Hartes stieß. Vorsichtig glitten seine Fingerkuppen über das Grobe und hinterließen ein seichtes Schaben.
Ausatmend befühlte er den Untergrund, auf dem er geruhsam lag. Weich...Ein Kissen, oder nicht? Dem Stoff nach war es Seide, die sich wasserartig seinen Fingern entzog. Das Atmen in dem Raum fiel ihm schwer, war jedoch nicht unangenehm, doch...Etwas stimmte nicht.
Mit einer kurzen Bewegung seines Oberkörpers gedachte der Mann sich, in die aufrechte Position zu bringen, ehe er auch hier nach nicht einmal einer Elle Abstand gegen etwas Hartes und Raues stieß.
Ein Schmerzenslaut entrang sich seinen Lippen, ehe er zurück ins Dunkel und die sanfte Seidigkeit des Kissens fiel.
"Bestens...", murmelte er und rieb sich die Stirn. "Ein Sarg. Natürlich."
Natürlich.
Nun, es wäre sicherlich zu bemerken, dass Thorne schon öfter in grausigen und ungewöhnlichen Orten (genannt sei hier unter anderem der Traualtar von St. Marys und das Tulpenbeet der Königin Victoria) erwacht war. Und doch war das Makabre stets nur ein Begleiter dieser Szenerien. Das hier jedoch war anders. Ein Sarg? Warum erwachte Nathaniel in einem Sarg? Noch dazu in einem mit so grässlich kratzenden Wänden? Man hätte ihm wenigstens Ebenholz oder dergleichen zur Verfügung stellen können. Das hier fühlte sich an wie der hinterletzte Totenbaum aus dem Westen Afrikas. Nicht, dass diese nicht auch ihren Reiz hätten, aber Himmel...
Mit einem Seufzen klopfte er von innen an das Holz über seinem Kopf.
"Hallo? Ist da Jemand?!", rief er mit krächzender Stimme aus seinem Gefängnis heraus.
Minutenlang herrschte Stille.
Bestens.
Keine Seele in der Nähe und er in einem verfluchten Sarg, der nach altem Alkohol und Schweiß roch. Gut, vielleicht mochte das letzte auch er selbst sein. Ärgerlich und lästig, dachte Thorne und atmete durch. Sanft formte er die Finger in komplizierten Bewegungen bis sie in der Folge die Anmut eines Schlüssels annahmen, mit dem Mittelfinger als Führungsfinger. Sanft legte er die Spitze des Fingers mitsamt der grotesten Handstellung der anderen an dass Holz des Sarges und drehte es mit einem Impuls seiner Aura um neunzig Grad.
Krachend löste sich der vernagelte Deckel, indem die Nägel selbst beinahe freiwillig aus dem Holz sprangen.
Mit einem Ächzen, das dem Stöhnen eines brünftigen Hirschbocks gleichkam, schob er den Sargdeckel von innen auf und ließ ihn krachend zu Boden fallen. Fahles, Licht schien durch die Wolken Londons auf seinen Sarg hinab, der an einer stinkenden Uferstraße der Themse lag. Der Geruch von Brackwasser und Exkrementen ließ Thorne beinahe würgen, als er sich aus der seidigen Wohligkeit erhob und sich umsah.
Der Hafen. Bestens.
Sorgsam schlug er die verschwitzten Locken über seiner Stirn zurück und seufzte schwer. Wenn er diese Schankmaid zu fassen bekam, würde sie ihm das ein oder andere erklären müssen. Vor allem, was in diesem Drink enthalten war. Wie nannte sie ihn? Gorgonischer Schädelspalter?
Seinen Kopfschmerzen nach zu urteilen, hatte dies Ziel zumindest Erfüllung gefunden.
Langsam erhob er sich aus der Totenkiste heraus und trat auf festen Boden, ehe er sich erneut umsah. Dem Antlitz nach war er am Verladehafen. Und das war ja nur eine Stunde zu Fuß entfernt bis zur Detektei.
Natürlich musste dies alles geschehen, wenn Trigg diese verfluchte Anzeige geschaltet hatte. Sofern es Bewerber geben würde, würden sie heute oder morgen aufschlagen. Und neben Schach hasste Nate Thorne nichts mehr als die Tatsache, nicht zu wissen, wer in seinem Haus verkehrte.
Mit einem letzten Seufzen trat er den Sarg in den Strom der Themse und begann seinen Fußweg mit einem Tritt in eine stinkende Pfütze.
Bestens.