14.12.2024, 22:23 - Wörter:
Wir schreiben die Jahre 1985 bis 1986. Féilim O’Reilly, Schüler der 6. Klasse und Élodie Evans, Schülerin der 1. Klasse begegnen sich in den leeren Fluren Hogwarts. Der Eine dabei, seinen Platz in der Welt zu finden. Die Andere, nur das Intro eines Liedes.
Es war spät geworden, die Januarsonne längst untergegangen und der kalte Wintermond erleuchtete die Flure Hogwarts. Das kleine Mädchen, der ersten Klasse, rannte die Treppe hinauf und starrte auf eine Sackgasse. Auf den Zehenspitzen wirbelte sie ihren Körper herum und sprintete runter. Sie stand vor dem Porträt des Gemeinschaftsraums. „Paaasswoort?“
Élodie Evans befand sich wieder dort, wo sie vor zwanzig Minuten gestartet war. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sie der Dame den Rücken zu und betrachtete die verschiedenen Aufgänge. Der Boden, unter ihren Füßen, vibrierte und das schleifende Geräusch des Steins übertönte die Schritte spazierender Schüler. Die Treppen änderten ihre Richtung. Das kleine Mädchen rannte los, die ankommenden Stufen nehmend und landete vor einem der Gemeinschaftsbäder. Sie unterdrückte ihren frustrierten Schrei und gab nur ein genervtes Quietschen von sich. Sie stampfte mit dem Fuß auf.
Die Ferien hatten die letzten drei Monate, die sie auf dem Internat war, ausradiert und sie verlief sich, wie am ersten Tag. Zwischen Bescherung, Familienbesuchen und der intensiven Nachhilfe ihrer Mutter, damit Élodies Leistungen besser wurden, vermutete die 11-Jährige, dass ihr Hirn aussortiert hatte. Und aus einem Grund, den das Mädchen nicht kannte, entschied es sich ausgerechnet die Wege Hogwarts zu vergessen. Die einzige, geringe Chance, den Unterricht zu bestehen war, den Klassenraum zu finden. Und jetzt würde sie auch noch verhungern, weil sie den Flur zur großen Halle nicht fand!
Selbst die Gemälde wurden aufmerksam, auf das Kind, das viele Male ihre Rahmen passiert hatte. Leises Tuscheln begleitete sie, bei jeder Stufe, die sie trat. Raunen und ersticktes Kichern kommentierte ihr Scheitern, wenn sie vom falschen Weg zurückkehrte. Eine geschlagene Stunde benötigte Élodie, ehe sie im richtigen Korridor stand. Hinter ihr, in der Ferne, war das Gelächter der Bilder zu hören, die ausgelassen über das Mädchen spotteten. Ihr Hohn war der Schatten, den sie auf den steinernen Boden der Flure warf und dem sie versuchte zu entfliehen.
Die Häme war überflüssig und ihr längst schmerzlich bewusst, dass sie den Erwartungen nicht entsprach. Angestachelt von dem fiesen Lachen verhexter Kunst, überschlugen sich ihre Schritte und sie schmiss sich gegen die Tore der großen Halle, die für ihr Ausmaß, spielend leicht öffneten. Mit dem Oberkörper voran, stolperte sie in den Saal. Einige, zu viele, neugierige Blicke wandten sich an sie. Die Tische waren leer und außer ein paar Krümeln und einer Handvoll Gesellschaftsspiele, die die Anderen an einem Freitagabend erheiterten, war nichts mehr übrig.
„Wolltest du etwa zum Abendessen? Das ist seit einer halben Stunde vorbei“, sprach sie ein Schüler an. Schamesröte stieg dem kleinen Mädchen in die Wangen, was sie mit einem unsicheren Lächeln versuchte zu kaschieren.
„Oh ... Ich ... Nein, nein, ich suche nur jemanden“, log sie. Élodie stellte sich auf die Zehenspitzen und drehte ihren Kopf suchend, betrachtete die Halle und bemerkte, dass nicht einmal mehr eine trockene Scheibe Brot herum lag. Sie zuckte mit den Schultern. „Ist wohl nicht hier. Naja ... Ich such dann mal weiter. Viel Spaß noch“, sie taumelte rückwärts aus dem Saal.
Das Kind lief einige Schritte den Flur entlang, ehe sie sich seitlich an die kalte Wand lehnte und den Kopf senkte. Die Arme waren taub, von den Büchern und losen Zetteln, die sie trug, weil sie keinen Platz mehr fanden in dem schweren, übervollen Rucksack, den sie öfter mit sich schleppte als ihre Kröte.
Die Scham lähmte die Beine des kleinen Mädchens. Zwischen den hohen Mauern der Schule, auf den breiten Korridoren, für hunderte von Hexen und Zauberern, erdrückte sie das Gewicht der Erwartungen. Die prunkvollen Säulen lachten den elendigen Anblick Élodies aus. Verhöhnten mit ihrer stillen Präsenz, die Bemühungen der Schülerin. Sie wirkte verloren, was durch die zu große Schuluniform verstärkt wurde.
Im Vergleich zu den anderen Kindern war das Mädchen eines der kleinsten und zierlichsten Personen. Selbst beim Wachsen versagte sie. Erschöpfung breitete sich in dem jungen Körper aus, beschwerte die Glider und verdunkelte jeden Gedanken. Sie war eine Enttäuschung, für ihre Eltern, für Hogwarts, für die gesamte Zaubererwelt. Es war gleich, wie sehr sie sich bemühte – wie unbedingt, sie es schaffen wollte. Alles, was sie erreichte, war Punktabzug für Gryffindor und Versagen.
Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen und entspannte sich mit einem lauten Knurren, dass sie an das jähe Scheitern erinnerte. Zu Hause wäre sie nicht hungrig, während sie versagte. Dort gab es wenigstens Kekse für Nichtskönner. Und keine Bilder, die lachten, statt ihr den Weg zu verraten! Sowieso verstand Élodie nicht, weshalb sie an zwei Schulen zeitgleich sein sollte. Niemand absolvierte zwei Abschlüsse und zog in ein riesen Schloss, dass keine Wegbeschreibung hatte!
Aber nicht alle waren die Tochter einer angesehenen Aurorin und Ministeriumsmitarbeiterin. Dazu noch der geschätzte Herr Papa Geschäftsmann, dem das Proletariat beider Welten am Herzen lag und dessen „harte Schule“ einen für das Leben formte. Den Charakter stärkte!
Zwei Menschen, durchtränkt von Idealismus für eine bessere Zukunft, die ein Kind zeugten, dass einmal die Welt verändern würde. Doch das, war nicht sie, das kleine Mädchen, dem selbst die eigenen Locken zu groß waren und ihren Eltern auch in hundert Jahren nicht das Wasser reichen konnte. Das kindliche Herz krampfte zusammen und dicke Tränen ließen sie erblinden. Sie liebte ihre Familie so schmerzlich, dass der Gedanke daran, ihren Erwartungen nicht entsprechen zu können, sie beinahe umbrachte.
Das laute Schlagen des Glockenturms riss Élodie aus ihrem Selbsthass. Sie schmiss den Kopf in die Höhe, einige Tränen fielen aus ihren Augen. „Oh nein! Nein! Nein! Nein!“ Das Mädchen rannte panisch los, denn zum Glockenschlag musste sie in der Bibliothek sein, um rechtzeitig geliehene Bücher zurückzugeben. Sie hatte die Fristen viele Male schon verpasst und die Geduld der Bibliothekarin strapaziert. Sie hatte das Kind ermahnt, wenn sie nicht pünktlich käme, dann müsse sie sich in Zukunft jedes Buch selber kaufen!
Sie rannte, als hinge ihr Leben davon ab, rutschte um eine enge Kurve und trat auf ihren übergroßen Umhang. Sie strauchelte. Das Sichtfeld, von den Tränen noch verschwommen, drehte sich. Sie schrie auf und landete geradewegs vor dem Brustkorb eines älteren Schülers.
Die tauben Arme versagten ihren Dienst und Élodies Schulsachen verteilten sich auf dem Steinboden. Zu allem Überfluss rissen sie jene, des Anderen mit. Ein weiterer Glockenschlag vibrierte durch die Luft. Das kleine Mädchen wurde durch den Aufprall wieder nach hinten katapultiert. Sie trat mit der Hacke erneut auf ihren Umhang und fiel. Landete unmittelbar auf ihrem Po und schaute von unten her, zu dem Jungen. Der Saum seines Umhangs leuchtete dunkelgrün – ein Slytherin!
Das fehlte ihr gerade noch, ausgerechnet jemand aus dem Haus, das sie für ihre Abstammung und Dummheit hänselten. Schau nur, da kommt das Fräulein Tuh-Nicht-Gut, ist so dumm wie ein Muggel, darf aber trotzdem einen Zauberstab halten – ich wette, er ist mit Trollhaar! Hatten sie ihr erst gestern hinterhergerufen. Was würde sie jetzt erwarten?
Hastig rutschte Élodie auf ihre Knie, die großen, dunkelbraunen Kirschaugen glänzten verräterisch. Das Kind biss so fest auf ihre Zunge, wie sie konnte, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Jetzt bloß nicht heulen, wie ein Baby!
„Entschuldigung, wirklich ... Tut mir leid ... Entschuldigung!“, stammelte sie hastig und sammelte eilig die Utensilien wieder auf. Einen Stapel für ihn, den anderen für sie.
„Habs eilig, wie du wohl bemerkt hast, tut mir leid, ich guck nächstes Mal besser, hier sind deine Sachen, ja? Kommt nicht mehr vor!“, schaukelnd hievte sie sich und die Bücher wieder auf die Füße. Das Mädchen setzte sich in Bewegung. Nur den Flur runter und sie wäre da. Im Laufen drehte sie sich noch einmal um „Entschuldige nochmal“, im letzten Augenblick wandte sie ihren Kopf nach vorne und konnte, mit einem Sprung zur Seite, einer Gruppe ausweichen.
Keuchend schmiss Élodie die Tür auf und verursachte dabei einen solchen Lärm, dass die Bibliothekarin erschrocken aufblickte und missbilligend die Brille senkte. Mit letzter Kraft ließ das kleine Mädchen die Bücher auf den Tresen fallen.
„Élodie Evans!“, ermahnte die Frau sie.
„Ich habs geschafft!“, japste das Kind.
„Die Glocke verstummte vor drei Minuten!“ Die Lehrerin kontrollierte den Bücherstapel auf Vollständigkeit.
„Es fehlt eines“, stellte sie fest.
„Was? Nein! Sie müssen alle da sein.“
„Stattdessen liegt hier ein Buch aus der sechsten Klasse!“
„Aber ... So eines habe ich nie ausgeliehen“, widersprach das Kind. Die Erwachsene hob die Lektüre in die Luft. Sie hatte Recht. Das war nicht ihres. „Wie...“, stammelte sie und erinnerte sich an den Jungen.
„Es tut mir leid, bitte ... Die Treppen ... Ich hab mich verlaufen und dann bin ich eben mit jemandem zusammen gestoßen, ich muss die Bücher vertau-“
„Genug!!! 5 Punkte Abzug für Gryffindor, wegen wiederholten zu spät Kommens und dem Benutzen fauler Ausreden!“
„ABER ...“
„Zwei Punkte Abzug für Gryffindor, wegen unangemessener Widerworte. Sollen wir so weitermachen, Frau Evans? Als Kind einer Ministeriumsmitarbeiterin sollte Ihnen das Befolgen von Regeln doch bekannt sein. Und wenn sie sich immer noch nicht die Wege einprägen können, dann muss ich mich ernsthaft fragen, wie Sie Ihren Abschluss hier schaffen wollen! Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Miss Evans?“, polterte die Erwachsene, die längst in ihrem Feierabend hätte sein sollen. Das kleine Mädchen senkte den Kopf und nickte stumm.
„Montag kommt das letzte Buch zurück. Sie wissen, was sonst auf Sie kommt.“
„Natürlich.“
„Pünktlich!“
„Ja“, murmelte sie und platzierte den Rucksack wieder auf der Schulter.
„Und jetzt gehen sie, mein Kind und arbeiten noch fleißig an ihrer Zukunft. Dann schaffen Sie es bestimmt“, beschwichtigte die Bibliothekarin. Élodie drehte sich um, verschwand in einer der Gänge und suchte sich den dunkelsten Platz, zum Lernen. Die Bibliothek war leer, niemand kam am Ende einer langen Schulwoche auf die Idee weiterzulernen. Ihre Kameraden waren entweder in der großen Halle, in den Gemeinschaftsräumen oder für ein Butterbier nach Hogsmeade gegangen.
Das Herz der Kleinen wurde wieder schwer. Erneut zeigte sich, welche Erwartungen auf ihr ruhten und wie mangelhaft sie sie nur erfüllen konnte. Drei Monate genügten, um der Zaubererwelt zu beweisen, was für eine Versagerin sie war. Ihre Eltern würden mit der Schande leben müssen, die sie der Familie brachte. Besser war es, sie wäre abgehauen. Ohne sie war es leichter für alle. Aber wo sollte sie hin? Vermutlich würde sie sich schon auf dem Weg, zurück in den Gemeinschaftsraum, um ihre Tasche zu packen, verlaufen. Und bei ihrem Glück würde sie auch noch ein Lehrer dabei erwischen, wie sie zu spät durch die Gänge irrte und erneut Punktabzug verteilen!
Das Mädchen setzte sich auf einen Sessel und legte die Tasche auf den Tisch. Es war aussichtslos. Élodie war dazu verdammt, an diesem verwirrenden, riesigen Ort zu verweilen und sieben Jahre auszuhalten, dass ihr jeder deutlich machte, wie schlecht sie zur Hexe geeignet war. Heimweh umklammerte die junge Seele. Sie wollte zurück, in ihr Zimmer, wo sie alles kannte und keiner ihr Vorwürfe machte. Weg, aus dem Internat, das ihr so fremd und feindselig vor kam.
Die Anderen waren entzückt gewesen, bei der Einschulung. Ihre Mienen waren voll Begeisterung, für den Auftakt ihres Einzugs. Doch Élodie versteckte sich hinter jedem, der größer war als sie und wäre am liebsten am selben Tag abgereist.
Ihre alte Schule war nicht so kompliziert und vor allem brauchte sie dort nicht einziehen und sich mit Fremden ein Zimmer teilen! Dort wusste sie genau, wo welcher Klassenraum war, wo sie ihren Spint fand und dass die Treppen sicher immer ans Ziel führten. In Hogwarts hatte sie nur ihre Tollpatschigkeit und das Lernen. Letzteres war das Einzige, das ihr jetzt noch half, die Schuldgefühle zu vergessen und ihr Schicksal abzuwenden. Sie öffnete die Tasche und packte Feder, Pergament und Bücher aus. Sie schlug eines auf.
Ihr Magen knurrte und verursachte Bauchschmerzen. Das Frühstück war ihre letzte Mahlzeit gewesen und sie hätte für einen Schokoriegel den morgigen Unterricht geschwänzt! Es nützte alles nichts. Mit tränengefüllten Augen widmete sich das kleine Mädchen den Lerninhalten. Es dauerte keine Minute, bis die Buchstaben verschwammen und jedes gelesene Wort sich wie eine fremde Sprache anhörte. Ihr Kopf platzte vor Gedanken, das Herz schwer und der Magen leer. Von der Müdigkeit, die ihr zur besten Freundin wurde, abgesehen.
Élodie schluchzte. Aus ihren Augen quollen Bäche. Sie verlor die Kontrolle über ihre Gefühle und weinte bitterlich los. Schniefend ließ sie den Kopf auf ihre Arme fallen, ihr Körper, unter der Schuluniform kaum sichtbar, bebte. Sie heulte jetzt doch, wie ein Baby und versagte selbst dabei, aufzuhören. Der Druck, die vielen Missgeschicke und das Heimweh entluden sich zeitgleich. Sie ergab sich und ließ sich von den Fluten mitreißen. Ertrank in dem Ozean salzig, heißer Tränen.
Es war spät geworden, die Januarsonne längst untergegangen und der kalte Wintermond erleuchtete die Flure Hogwarts. Das kleine Mädchen, der ersten Klasse, rannte die Treppe hinauf und starrte auf eine Sackgasse. Auf den Zehenspitzen wirbelte sie ihren Körper herum und sprintete runter. Sie stand vor dem Porträt des Gemeinschaftsraums. „Paaasswoort?“
Élodie Evans befand sich wieder dort, wo sie vor zwanzig Minuten gestartet war. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sie der Dame den Rücken zu und betrachtete die verschiedenen Aufgänge. Der Boden, unter ihren Füßen, vibrierte und das schleifende Geräusch des Steins übertönte die Schritte spazierender Schüler. Die Treppen änderten ihre Richtung. Das kleine Mädchen rannte los, die ankommenden Stufen nehmend und landete vor einem der Gemeinschaftsbäder. Sie unterdrückte ihren frustrierten Schrei und gab nur ein genervtes Quietschen von sich. Sie stampfte mit dem Fuß auf.
Die Ferien hatten die letzten drei Monate, die sie auf dem Internat war, ausradiert und sie verlief sich, wie am ersten Tag. Zwischen Bescherung, Familienbesuchen und der intensiven Nachhilfe ihrer Mutter, damit Élodies Leistungen besser wurden, vermutete die 11-Jährige, dass ihr Hirn aussortiert hatte. Und aus einem Grund, den das Mädchen nicht kannte, entschied es sich ausgerechnet die Wege Hogwarts zu vergessen. Die einzige, geringe Chance, den Unterricht zu bestehen war, den Klassenraum zu finden. Und jetzt würde sie auch noch verhungern, weil sie den Flur zur großen Halle nicht fand!
Selbst die Gemälde wurden aufmerksam, auf das Kind, das viele Male ihre Rahmen passiert hatte. Leises Tuscheln begleitete sie, bei jeder Stufe, die sie trat. Raunen und ersticktes Kichern kommentierte ihr Scheitern, wenn sie vom falschen Weg zurückkehrte. Eine geschlagene Stunde benötigte Élodie, ehe sie im richtigen Korridor stand. Hinter ihr, in der Ferne, war das Gelächter der Bilder zu hören, die ausgelassen über das Mädchen spotteten. Ihr Hohn war der Schatten, den sie auf den steinernen Boden der Flure warf und dem sie versuchte zu entfliehen.
Die Häme war überflüssig und ihr längst schmerzlich bewusst, dass sie den Erwartungen nicht entsprach. Angestachelt von dem fiesen Lachen verhexter Kunst, überschlugen sich ihre Schritte und sie schmiss sich gegen die Tore der großen Halle, die für ihr Ausmaß, spielend leicht öffneten. Mit dem Oberkörper voran, stolperte sie in den Saal. Einige, zu viele, neugierige Blicke wandten sich an sie. Die Tische waren leer und außer ein paar Krümeln und einer Handvoll Gesellschaftsspiele, die die Anderen an einem Freitagabend erheiterten, war nichts mehr übrig.
„Wolltest du etwa zum Abendessen? Das ist seit einer halben Stunde vorbei“, sprach sie ein Schüler an. Schamesröte stieg dem kleinen Mädchen in die Wangen, was sie mit einem unsicheren Lächeln versuchte zu kaschieren.
„Oh ... Ich ... Nein, nein, ich suche nur jemanden“, log sie. Élodie stellte sich auf die Zehenspitzen und drehte ihren Kopf suchend, betrachtete die Halle und bemerkte, dass nicht einmal mehr eine trockene Scheibe Brot herum lag. Sie zuckte mit den Schultern. „Ist wohl nicht hier. Naja ... Ich such dann mal weiter. Viel Spaß noch“, sie taumelte rückwärts aus dem Saal.
Das Kind lief einige Schritte den Flur entlang, ehe sie sich seitlich an die kalte Wand lehnte und den Kopf senkte. Die Arme waren taub, von den Büchern und losen Zetteln, die sie trug, weil sie keinen Platz mehr fanden in dem schweren, übervollen Rucksack, den sie öfter mit sich schleppte als ihre Kröte.
Die Scham lähmte die Beine des kleinen Mädchens. Zwischen den hohen Mauern der Schule, auf den breiten Korridoren, für hunderte von Hexen und Zauberern, erdrückte sie das Gewicht der Erwartungen. Die prunkvollen Säulen lachten den elendigen Anblick Élodies aus. Verhöhnten mit ihrer stillen Präsenz, die Bemühungen der Schülerin. Sie wirkte verloren, was durch die zu große Schuluniform verstärkt wurde.
Im Vergleich zu den anderen Kindern war das Mädchen eines der kleinsten und zierlichsten Personen. Selbst beim Wachsen versagte sie. Erschöpfung breitete sich in dem jungen Körper aus, beschwerte die Glider und verdunkelte jeden Gedanken. Sie war eine Enttäuschung, für ihre Eltern, für Hogwarts, für die gesamte Zaubererwelt. Es war gleich, wie sehr sie sich bemühte – wie unbedingt, sie es schaffen wollte. Alles, was sie erreichte, war Punktabzug für Gryffindor und Versagen.
Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen und entspannte sich mit einem lauten Knurren, dass sie an das jähe Scheitern erinnerte. Zu Hause wäre sie nicht hungrig, während sie versagte. Dort gab es wenigstens Kekse für Nichtskönner. Und keine Bilder, die lachten, statt ihr den Weg zu verraten! Sowieso verstand Élodie nicht, weshalb sie an zwei Schulen zeitgleich sein sollte. Niemand absolvierte zwei Abschlüsse und zog in ein riesen Schloss, dass keine Wegbeschreibung hatte!
Aber nicht alle waren die Tochter einer angesehenen Aurorin und Ministeriumsmitarbeiterin. Dazu noch der geschätzte Herr Papa Geschäftsmann, dem das Proletariat beider Welten am Herzen lag und dessen „harte Schule“ einen für das Leben formte. Den Charakter stärkte!
Zwei Menschen, durchtränkt von Idealismus für eine bessere Zukunft, die ein Kind zeugten, dass einmal die Welt verändern würde. Doch das, war nicht sie, das kleine Mädchen, dem selbst die eigenen Locken zu groß waren und ihren Eltern auch in hundert Jahren nicht das Wasser reichen konnte. Das kindliche Herz krampfte zusammen und dicke Tränen ließen sie erblinden. Sie liebte ihre Familie so schmerzlich, dass der Gedanke daran, ihren Erwartungen nicht entsprechen zu können, sie beinahe umbrachte.
Das laute Schlagen des Glockenturms riss Élodie aus ihrem Selbsthass. Sie schmiss den Kopf in die Höhe, einige Tränen fielen aus ihren Augen. „Oh nein! Nein! Nein! Nein!“ Das Mädchen rannte panisch los, denn zum Glockenschlag musste sie in der Bibliothek sein, um rechtzeitig geliehene Bücher zurückzugeben. Sie hatte die Fristen viele Male schon verpasst und die Geduld der Bibliothekarin strapaziert. Sie hatte das Kind ermahnt, wenn sie nicht pünktlich käme, dann müsse sie sich in Zukunft jedes Buch selber kaufen!
Sie rannte, als hinge ihr Leben davon ab, rutschte um eine enge Kurve und trat auf ihren übergroßen Umhang. Sie strauchelte. Das Sichtfeld, von den Tränen noch verschwommen, drehte sich. Sie schrie auf und landete geradewegs vor dem Brustkorb eines älteren Schülers.
Die tauben Arme versagten ihren Dienst und Élodies Schulsachen verteilten sich auf dem Steinboden. Zu allem Überfluss rissen sie jene, des Anderen mit. Ein weiterer Glockenschlag vibrierte durch die Luft. Das kleine Mädchen wurde durch den Aufprall wieder nach hinten katapultiert. Sie trat mit der Hacke erneut auf ihren Umhang und fiel. Landete unmittelbar auf ihrem Po und schaute von unten her, zu dem Jungen. Der Saum seines Umhangs leuchtete dunkelgrün – ein Slytherin!
Das fehlte ihr gerade noch, ausgerechnet jemand aus dem Haus, das sie für ihre Abstammung und Dummheit hänselten. Schau nur, da kommt das Fräulein Tuh-Nicht-Gut, ist so dumm wie ein Muggel, darf aber trotzdem einen Zauberstab halten – ich wette, er ist mit Trollhaar! Hatten sie ihr erst gestern hinterhergerufen. Was würde sie jetzt erwarten?
Hastig rutschte Élodie auf ihre Knie, die großen, dunkelbraunen Kirschaugen glänzten verräterisch. Das Kind biss so fest auf ihre Zunge, wie sie konnte, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Jetzt bloß nicht heulen, wie ein Baby!
„Entschuldigung, wirklich ... Tut mir leid ... Entschuldigung!“, stammelte sie hastig und sammelte eilig die Utensilien wieder auf. Einen Stapel für ihn, den anderen für sie.
„Habs eilig, wie du wohl bemerkt hast, tut mir leid, ich guck nächstes Mal besser, hier sind deine Sachen, ja? Kommt nicht mehr vor!“, schaukelnd hievte sie sich und die Bücher wieder auf die Füße. Das Mädchen setzte sich in Bewegung. Nur den Flur runter und sie wäre da. Im Laufen drehte sie sich noch einmal um „Entschuldige nochmal“, im letzten Augenblick wandte sie ihren Kopf nach vorne und konnte, mit einem Sprung zur Seite, einer Gruppe ausweichen.
Keuchend schmiss Élodie die Tür auf und verursachte dabei einen solchen Lärm, dass die Bibliothekarin erschrocken aufblickte und missbilligend die Brille senkte. Mit letzter Kraft ließ das kleine Mädchen die Bücher auf den Tresen fallen.
„Élodie Evans!“, ermahnte die Frau sie.
„Ich habs geschafft!“, japste das Kind.
„Die Glocke verstummte vor drei Minuten!“ Die Lehrerin kontrollierte den Bücherstapel auf Vollständigkeit.
„Es fehlt eines“, stellte sie fest.
„Was? Nein! Sie müssen alle da sein.“
„Stattdessen liegt hier ein Buch aus der sechsten Klasse!“
„Aber ... So eines habe ich nie ausgeliehen“, widersprach das Kind. Die Erwachsene hob die Lektüre in die Luft. Sie hatte Recht. Das war nicht ihres. „Wie...“, stammelte sie und erinnerte sich an den Jungen.
„Es tut mir leid, bitte ... Die Treppen ... Ich hab mich verlaufen und dann bin ich eben mit jemandem zusammen gestoßen, ich muss die Bücher vertau-“
„Genug!!! 5 Punkte Abzug für Gryffindor, wegen wiederholten zu spät Kommens und dem Benutzen fauler Ausreden!“
„ABER ...“
„Zwei Punkte Abzug für Gryffindor, wegen unangemessener Widerworte. Sollen wir so weitermachen, Frau Evans? Als Kind einer Ministeriumsmitarbeiterin sollte Ihnen das Befolgen von Regeln doch bekannt sein. Und wenn sie sich immer noch nicht die Wege einprägen können, dann muss ich mich ernsthaft fragen, wie Sie Ihren Abschluss hier schaffen wollen! Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Miss Evans?“, polterte die Erwachsene, die längst in ihrem Feierabend hätte sein sollen. Das kleine Mädchen senkte den Kopf und nickte stumm.
„Montag kommt das letzte Buch zurück. Sie wissen, was sonst auf Sie kommt.“
„Natürlich.“
„Pünktlich!“
„Ja“, murmelte sie und platzierte den Rucksack wieder auf der Schulter.
„Und jetzt gehen sie, mein Kind und arbeiten noch fleißig an ihrer Zukunft. Dann schaffen Sie es bestimmt“, beschwichtigte die Bibliothekarin. Élodie drehte sich um, verschwand in einer der Gänge und suchte sich den dunkelsten Platz, zum Lernen. Die Bibliothek war leer, niemand kam am Ende einer langen Schulwoche auf die Idee weiterzulernen. Ihre Kameraden waren entweder in der großen Halle, in den Gemeinschaftsräumen oder für ein Butterbier nach Hogsmeade gegangen.
Das Herz der Kleinen wurde wieder schwer. Erneut zeigte sich, welche Erwartungen auf ihr ruhten und wie mangelhaft sie sie nur erfüllen konnte. Drei Monate genügten, um der Zaubererwelt zu beweisen, was für eine Versagerin sie war. Ihre Eltern würden mit der Schande leben müssen, die sie der Familie brachte. Besser war es, sie wäre abgehauen. Ohne sie war es leichter für alle. Aber wo sollte sie hin? Vermutlich würde sie sich schon auf dem Weg, zurück in den Gemeinschaftsraum, um ihre Tasche zu packen, verlaufen. Und bei ihrem Glück würde sie auch noch ein Lehrer dabei erwischen, wie sie zu spät durch die Gänge irrte und erneut Punktabzug verteilen!
Das Mädchen setzte sich auf einen Sessel und legte die Tasche auf den Tisch. Es war aussichtslos. Élodie war dazu verdammt, an diesem verwirrenden, riesigen Ort zu verweilen und sieben Jahre auszuhalten, dass ihr jeder deutlich machte, wie schlecht sie zur Hexe geeignet war. Heimweh umklammerte die junge Seele. Sie wollte zurück, in ihr Zimmer, wo sie alles kannte und keiner ihr Vorwürfe machte. Weg, aus dem Internat, das ihr so fremd und feindselig vor kam.
Die Anderen waren entzückt gewesen, bei der Einschulung. Ihre Mienen waren voll Begeisterung, für den Auftakt ihres Einzugs. Doch Élodie versteckte sich hinter jedem, der größer war als sie und wäre am liebsten am selben Tag abgereist.
Ihre alte Schule war nicht so kompliziert und vor allem brauchte sie dort nicht einziehen und sich mit Fremden ein Zimmer teilen! Dort wusste sie genau, wo welcher Klassenraum war, wo sie ihren Spint fand und dass die Treppen sicher immer ans Ziel führten. In Hogwarts hatte sie nur ihre Tollpatschigkeit und das Lernen. Letzteres war das Einzige, das ihr jetzt noch half, die Schuldgefühle zu vergessen und ihr Schicksal abzuwenden. Sie öffnete die Tasche und packte Feder, Pergament und Bücher aus. Sie schlug eines auf.
Ihr Magen knurrte und verursachte Bauchschmerzen. Das Frühstück war ihre letzte Mahlzeit gewesen und sie hätte für einen Schokoriegel den morgigen Unterricht geschwänzt! Es nützte alles nichts. Mit tränengefüllten Augen widmete sich das kleine Mädchen den Lerninhalten. Es dauerte keine Minute, bis die Buchstaben verschwammen und jedes gelesene Wort sich wie eine fremde Sprache anhörte. Ihr Kopf platzte vor Gedanken, das Herz schwer und der Magen leer. Von der Müdigkeit, die ihr zur besten Freundin wurde, abgesehen.
Élodie schluchzte. Aus ihren Augen quollen Bäche. Sie verlor die Kontrolle über ihre Gefühle und weinte bitterlich los. Schniefend ließ sie den Kopf auf ihre Arme fallen, ihr Körper, unter der Schuluniform kaum sichtbar, bebte. Sie heulte jetzt doch, wie ein Baby und versagte selbst dabei, aufzuhören. Der Druck, die vielen Missgeschicke und das Heimweh entluden sich zeitgleich. Sie ergab sich und ließ sich von den Fluten mitreißen. Ertrank in dem Ozean salzig, heißer Tränen.