02.05.2025, 15:47 - Wörter:
Die Taskleiste auf seinem Desktop zeigte 18:18 Uhr. Um Punkt 18 Uhr hatte er Feierabend gehabt, doch wartete er immer, bis sich der Minutenzeiger dem Stundenzeiger anglich, bevor er damit begann, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Einfach nur, weil 18:18 schöner aussah als 18:00, oder 18:05. Obwohl, das musste er zugeben, ihn auch etwas an 18:18 störte. 15:15 wäre da sehr viel geordneter anzusehen, zumal man aus multiplizierten 15ern hübsche, glatte 30er machen konnte. Aus 18 nicht. Aus zweimal 18 wurde nur 36. Zwar auch eine gute Zahl, jedoch keine, die locker von der Zunge ging. Nicht so wie 30. Nicht so glatt.
Doch hatte er nunmal nicht um 15 Uhr Feierabend, sondern um 18.
Er sortierte seine Ordner alphabetisch nebeneinander, schob sie alle gleich weit ins Regal zurück und polierte danach die Oberfläche seiner Tastatur mit einem Brillenputztuch, das er nach Benutzung – zweimal gefaltet – in seiner Schublade verstaute. Die Tastatur platzierte er einen Fingerbreit von der Tischkante entfernt. Der Füller landete in der Halterung. Das Druckerpapier klopfte er zu einem gleichmäßigen Paket und füllte den Drucker damit nach. Währenddessen hatte er Zeit, noch kurz Updates zu installieren und den Rechner danach abzuschalten.
Und obwohl er sich wie immer Zeit mit allem ließ, den Stuhl nah an seinen Schreibtisch schob, hörte er noch immer Stimmen im Flur, sowie das vertraute, hohle Lachen seiner Kollegen. Es störte ihn. Konnten sie nicht pünktlich gehen? Ungern ließ er sich aufhalten, denn das würden sie, das ahnte er.
Seufzend schob er eine Akte in seine Tasche, die er morgen früh im Homeoffice bearbeiten wollte, bevor er ins Büro zurückkam.
Was würden sie wohl heute fragen? Noch hatte er Zeit, darüber nachzudenken, bevor er ihnen begegnete.
„Na, schon Feierabend?“ - Ja. Haha.
„Willst du noch auf ein Bier mitkommen?“ - Danke für die Einladung, aber ich muss nach Hause.
„Was gibt’s bei euch zu Essen? Hat deine Frau gekocht?“ - Es gibt wohl Reste vom Vortag. Bei euch?
Gott, er war es leid. Es war immer dieselbe Leier, doch dieselbe Leier war sicher. Er wusste, was er zu antworten hatte, damit es leicht blieb.
Schmal lächelnd verließ er sein Büro und sobald er die drei Seiner Kollegen im Flur stehen sah. Genauso, wie er es erwartet hatte. Und prompt kam ihm Einladung Nummer 2.8 entgegengeflogen:
„Zayne! Schon Feierabend?“
„Haha .. Ja.“
„Lust, noch auf ein Bier ins Volkh zu gehen? Kay will das baldige Wochenende feiern.“
Kay lachte, als hätte Miles etwas Witziges gesagt. Zayne bemühte sich, das Lächeln beizubehalten.
„Bis zum Wochenende dauert es noch ein wenig. Aber nein, wird heute nichts, meine Frau wartet. Wir wollen raus.“
„Uhh! Ein Date!“ Begeistert formten Miles’ Lippen ein O.
Zayne schob ein künstliches Lachen vor. „Ja, kann man so nennen.“
„Geht ihr essen?“, hakte Kay nach.
„Richtig“, log er mit einer Leichtigkeit, die ihn schon lange nicht mehr erschreckte. „Indisch.“
„Boa, beim Inder war ich schon lange nicht mehr. Das letzte Mal hatte ich dieses Nana-Brot. Nahm. Wie nennt man das?“ Kay plapperte weiter und Zayne klinkte sich mental aus, lächelte, nickte und ließ es Miles und Wyatt, ihm zu antworten. Er passte die perfekte Gelegenheit ab, sich mit einem: „Muss dann los. Bis morgen“ zu verabschieden, ohne, dass es unhöflich wirkte.
„Na dann, grüß die Frau schön!“
„Werd ich. Danke.“ Würde er nicht.
Zaynes Griff um seine Aktentasche lockerte sich erst, als er einen Stehplatz in der S-Bahn ergatterte und für den Moment nichts weiter blieb, als zu warten. Zu warten, bis er fünf Stopps weiter aussteigen konnte. Draußen verschwamm die Stadt hinter angelaufenen Scheiben, doch seine Augen blieben an nichts hängen. An nichts Bestimmten. Seine Finger glitten über den Saum seiner Hemdknöpfe, um zu prüfen, ob alle geschlossen waren. Waren sie. Waren sie immer. Das beruhigte die Unruhe jedoch nur ein wenig, die in ihm hochkroch.
„Vertrau mir, Zayne“, hatte sie ihn gebeten, Mirena mit ihren ruhigen braunen Augen. „Mir ist das wichtig. … Denkst du, du schaffst das für mich? Nur ansehen. Ich will mir das nur mal ansehen, und ich werde nichts tun, mit dem du nicht einverstanden bist.“
Wie hätte er da Nein sagen können?
Nein, ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken.
Nein, das ist mir zuwider.
Nein, findest du das nicht eklig?
Nein, bitte nicht.
Wie hätte er irgendetwas davon sagen können, wenn sie ihn derart hoffnungsvoll angesehen hatte? Ihn mit ihren warmen Augen anbettelnd. Er wollte sie nicht enttäuschen; hatte er nie gewollt. … Und wenn sie sich unzufrieden fühlte, nicht ‚erfüllt‘ – was zu großen Teilen seine Schuld war – war das dann nicht purer Egoismus, ihr zu verbieten, sich auszuprobieren?
Die Haustür schloss sich leise knackend hinter ihm. Dann öffnete er sie noch einmal, schloss sie wieder.
Er stellte seine Schuhe neben die Bank im Flur, richtete sie mit den Zehen aus, obwohl sie ohnehin gerade standen. Der Flur grüßte ihn in gewohnten Grau- und Beigetönen, genauso sein Büro, in das er nur ging, um seine Aktentasche abzustellen. Auch ihre Küche lachte ihm Grau-Beige entgegen, in der er sich ein Glas Wasser schnappte, es austrank und direkt ausspülte, um es zurück ins Regal zu stellen. Eine Fingerkuppe breit schob er es neben die anderen. Glas neben Glas neben Glas. Allesamt auf dem Kopf stehend.
„Ich bin da“, rief er erst jetzt durch das Haus. Nicht laut, aber klar. Eine Antwort blieb aus, was ungewöhnlich war. Normalerweise kam seine Frau zu der Zeit aus ihrem Büro oder wartete am Küchentisch auf ihn. Nicht heute. Das hatte er zwar geahnt, doch dass es nun wirklich so war, stimmte ihn nervös.
Es würde heute also wirklich passieren, oder?
Sie hatte es sich nicht anders überlegt …
Sie hatte keine kalten Füße bekommen …
Oben brannte Licht. Im Badezimmer.
Blei floss in seine Innereien und kurz stieg Übelkeit auf, die er nach einem tiefen Durchatmen wegignorierte. Es gelang, so wie es ihm für gewöhnlich immer gelang.
Zayne ging die Treppe hinauf. Seine Finger mieden das Geländer. Nicht weil es dreckig war, sondern weil er es immer mied.
Die Tür stand halb offen und trotzdem klopfte er mit den Knöcheln, weil es sich so gehörte.
„Komm ruhig rein, Liebling. Ist offen.“
Ja, er sah selbst, dass ‚offen‘ war, doch wollte er sie nicht bei irgendetwas überraschen und sie erschrecken.
Er trat ein, doch sobald er sie sah, wich sein Blick in Richtung des Spiegels aus, wo er sie erneut sah. Seine Frau. Ihre Brüste, die in einem schwarzen Spitzen-BH steckten. Eilig wanderten seine Augen weiter zur Dusche. Dort war es sicherer, doch hatte der kurze Blick gereicht, um alles gesehen zu haben. Sie, in Unterwäsche, ihre sonst zu einem ordentlichen Dutt geschlossenen Haare offen und mühsam gelockt über ihren schmalen Schultern hängend. Gerade trug sie Lippenstift auf. Etwas, das sie sonst nicht tat. Nicht einmal bei ihrer Eheschließung hatte sie Lippenstift getragen.
Ihre Augen waren von etwas Farbe schattiert und mit einem Lidstrich längergezogen worden. Sie sah anders aus. Beunruhigend anders.
„Bin gleich soweit“, gluckste sie – interpretierte seine Nervosität falsch. Er hörte das Zuschnappen des Lippenstiftes und das Klappen einer Lidschattenpalette. „Möchtest du noch etwas essen, bevor wir fahren?“
„Nein. ... Nein, muss nicht sein“, gab er Antwort. „Ich hatte genug zu Mittag.“
„Dass du mir nicht vom Fleisch fällst“, scherzte sie.
„Werd ich nicht. … Ich sollte die Zeit nutzen und duschen gehen.“
„Tu das, Liebling. Lass dir Zeit. Ich bin etwas früh dran mit allem, aber ich war aufgeregt.“ Lächelnd wandte sie sich zu ihm herum. Nun konnte er nicht mehr anders, als sie anzusehen. Sie kam auf ihn zu, legte die Hände auf seine Brust und strahlte ihn an, wie sie schon lang nicht mehr gestrahlt hatte. „So richtig aufgeregt.“
Er lächelte für sie, legte die Hände an ihre Taille, streichelte sie sanft, was ihr Grinsen vertiefte. Sie war mit so wenig zufrieden.
Ja, es war das Richtige, diese eine Sache für sie zu tun. Sie zu begleiten, wenn sie es ausprobieren wollte. Wenn sie ihn derart anleuchtete, dann würde er das aushalten, und wenn es ihr gefiel, dann würden sie vielleicht sogar einmal die Woche hingehen. Das konnte er schaffen. Er musste sich nur zusammenreißen, die Zeit absitzen und es überleben. So tun, als wäre die Sache auch interessant für ihn, damit sie sich nicht schlecht fühlte und nichts für ihn abbrach. Sie hatte genug Nachsicht mit ihm.
„Freust du dich denn?“, hakte sie nach, nun doch unsicher klingend. „So ein kleines bisschen?“
„Aufgeregt bin ich definitiv.“ Das war nicht mal gelogen.
„Das glaube ich. Ist ja auch was ganz Neues. … Und du weißt, dass du jederzeit was sagen kannst, sollte es dir zu bunt werden, oder, Zayne?“
Oh, sie sprach ihn beim Vornamen an. Das hieß, er musste ihr nun aufmerksamer zuhören.
„Ja, ich weiß.“ Seine Hand fand ihre Wange und sie lehnte sich in die Berührung. „Und danke, dass du auf mich achtest, aber ich glaube nicht, dass es mir zu bunt oder zu viel werden wird.“ Doch. Das war bereits der Vorschlag gewesen. „Und falls ich mit der Eifersucht zu kämpfen habe, lass ich es dich wissen.“
Mirena gluckste vergnügt.
„Egal, wem ich in die Hände falle, du bist mein Mann. Vergiss das nicht. Du kannst noch immer mitmischen oder drosseln, was dir nicht-“
„Mirena.“
Aufmerksam blinzelnd sah sie zu ihm auf.
„Alles gut, Schatz. Wir gehen da locker rein, lassen uns mitreißen, wenn es etwas für uns ist, und ansonsten melde ich mich, bevor ich an meine Grenzen stoße.“
Sie lächelte wieder, streckte sich, schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuss. Er fühlte den öligen Film des Lippenstifts auf seinem Mund zurückbleiben, den sie schmunzelnd mit ihrem Daumen fortwischte oder eher verschmierte. „Entschuldigung.“
„Quatsch. Ich seh bestimmt bezaubernd in Rot aus.“
Auf seinen Spruch lachend, löste sie sich von ihm, tätschelte seine Seite und ließ ihn abziehen, damit er sich duschen und umziehen konnte. „Ja, das tust du. Wir treffen uns unten.“
Zayne bog mit dem Wagen lautlos in eine Seitenstraße ein, fernab der Hauptmeile. Zwischen zwei altmodischen Backsteinbauten lag ein Haus, das man leicht übersehen konnte. Keine Leuchtreklame. Kein Hinweisschild. Er kontrollierte die Eingabe auf dem Navigationsgerät dreimal, bevor er den Motor abstellte.
„Velours. Das wird es wohl sein.“
„Da steht aber nirgendwo etwas“, sprach Mirena das aus, was er sich eben gedacht hatte.
„Vielleicht absichtlich? Es soll schließlich nicht jeder wissen, was hier geboten wird.“
„Oh, stimmt. Da könntest du recht haben, Liebling.“
Er schenkte ihr ein Lächeln, bevor er wie gewohnt ausstieg, um ihr die Tür der Beifahrerseite zu öffnen.
Ihre ungewohnt hohen Absatzschuhe trafen zuerst auf den Asphalt. Sie musste sich an seiner Hand ausbalancieren.
Mirena hatte sich Mühe gegeben. Sie steckte in einem knappen Kleid aus schwarzem Satin, an der Hüfte eng, das Dekolleté dezent, aber tief genug. Gerade noch geschmackvoll, wie er fand. Ihre Lippen dunkelrot. Sie fühlte sich sexy, was er an ihrem Lächeln ablas, das sie ihm nun seit zwei Stunden präsentierte, und daran, wie sie immer wieder ihre langen Haare zur Seite holte, wenn er sie ansah, wie zur Einladung, ihren Hals und Nacken zu küssen.
Als er die Tür zuschlug und zweimal abschloss, sodass er das Aufleuchten der Reflektoren sehen konnte, glitten ihre Hände an seine Seiten, über sein schwarzes Hemd, das sich hier draußen kühl auf seiner Haut anfühlte. Die oberen zwei Knöpfe trug er offen – ein Kompromiss, auf Mirenas Betteln. Dazu hatte er sich für eine dunkle Hose und saubere Lederschuhe entschieden. Kein Gürtel, kein Schmuck, kein Parfum.
Er fühlte sich nackt, vor allem, als der Wind seine Kehle streifte, und er wünschte sich in einen Sakko oder einen Mantel, in die er sich zurückziehen konnte. Weit zurückziehen.
Im Innen des Velours war es warm. Gedämpftes Licht. Keine grellen Farben, kein schmutziger Plüsch – dem Himmel sei Dank. Spätestens beim Anblick von billigem Plüsch oder hässlichem roten Teppich, den man nicht richtig säubern konnte, hätte er seine Frau gepackt und wäre wieder gefahren.
Das Foyer erinnerte an eine Bar: Dunkle Wände, silberne Akzente, Glas, jedoch keine Musik – nur leises, tiefes Summen irgendwo im Hintergrund. Zayne hörte Stimmen, gedämpft, als kämen sie aus anderen Räumen. Vereinzeltes Lachen, jedoch nicht aufdringlich. Er wollte wieder gehen ...
Eine Dame in einem etwas zu engen, roten Kleid kam ihnen strahlend entgegen, zwei Gläser in der Hand, die sie aus der Kühlung hinter der Theke geholt hatte: „Ein Glas zur Begrüßung?“
Mirena nahm lächelnd an. Zayne lehnte ab. Ihm war jetzt schon schlecht und ungern wollte er auf dieses Gefühl noch Alkohol nachkippen, obwohl dieser vielleicht seine Nerven beruhigt hätte.
Sie wurden in den Salon geführt. Ein Raum mit bequemen Sesseln und diskreten Nischen. Spürbare Spannung lag in der Luft, oder vielleicht bildete er sich diese auch ein. Nein, Mirena fühlte sie auch, die haltsuchend einen Finger in eine der Schlaufen seiner Hose schob, um ihn in der Nähe zu haben.
Es gab eine Bar, keine Tanzfläche. Stattdessen: Augenpaare. Ein paar der bereits Anwesenden sahen zu ihnen herüber. Zayne wusste sofort, dass sie es wussten. Dass sie ‚neu‘ waren. Diese Leute waren öfter hier, kannten sich, so nah wie sie beieinanderstanden.
Er fühlte sie, die Blicke, die interessiert über sie wanderten, unverhohlen und offen. Augen blieben auf Höhe von Taille, Hüfte, Brust und Schritt hängen. Genau dafür waren sie hier … und Zayne sehnte sich nun doch nach einem Glas Alkohol. Pur.
Er hatte der Frau nicht einmal zuhören können, die ihnen gedämpft etwas erklärte, sie anlächelte, während er locker einen Arm um Mirenas Rücken legte und ihr beruhigend über die Seite streichelte – zumindest so tat, als würde er dem Gesagten folgen. Doch sobald er es versuchte, klinkte sein Gehirn sich bei „Kondomen“ und „Safewords“ von ganz allein aus. Die anderen Anwesenden hatten sich wieder ihren Gesprächen angenommen, machten einander schöne Augen, berührten sich. Doch das, was er im Augenwinkel erkennen konnte, blieb alles Anständig. Vorerst. Vielleicht brauchten auch die Stammkunden ihre halbe Stunde zum ‚Reinkommen‘, bevor sie ihre Höflichkeiten und Kleider ablegten.
Und er stand da mit seiner Frau und fühlte sich wie ein Fremder in einem Film, dessen Genre er nicht verstand. Als hätte man ihn falsch gecasted.
Die Rezeptionistin? – oder Hostess? – führte sie schließlich zu einer ruhigeren Ecke. „Fühlen Sie sich frei. Wenn Sie Fragen haben oder sollten sie Hilfsmittel brauchen, die sie nicht in den Räumlichkeiten vorfinden, kommen Sie jederzeit zu mir. Und seien Sie sicher, so wie auch Sie vorab ärztliche Attests über ihre Gesundheit abgeben mussten, müssen das auch alle anderen alle zwei Wochen tun, um weiterhin Mitglied sein zu können. Wir garantieren im Velours Sicherheit und Sauberkeit, sowohl räumlich als auch sexuell.“
„Ja, vielen Dank.“ Seine schlichte Antwort reichte ihr wohl, woraufhin sie sich lächelnd abwandte und zurück zum Foyer ging.
Er fühlte Mirenas Blick, doch brauchte er einen kurzen Moment, bevor er ihn erwidern konnte. Auch sie sah nun etwas nervös drein, doch da lag mehr in ihren Augen. Eine Aufregung. Erregung. Langsam schob sie sich an seinem Arm entlang in eine Umarmung, schmiegte sich an ihn, darauf achtend, ihr Makeup und ihren Lippenstift nicht an sein schwarzes Hemd zu verlieren. Seine Hand begleitete ihren Rücken, blieb zwischen ihren Schulterblättern liegen – seine Finger verfingen sich in den klebrig-steifen Locken, die sie mit Haarspray in Form zu zwingen versucht hatte. Seine Schulter blieben gespannt.
Noch einmal sah er sich um. Auch hier gab es eine Bar, an der ein paar Personen saßen, ansonsten standen überall Sessel und Personen in knapper oder teurer Kleidung. Doch ein Paar hatte sich aus der Menge gelöst, um sich zu den bequemen Sitznischen zurückzuziehen – sie auf dem Schoß des Mannes sitzend. Sie küssten sich. Seine Finger wanderten über ihren üppigen Hintern, bevor sie ihren Hosenknopf suchten. Er trug einen Ehering – sie nicht. Gehörten sie überhaupt zusammen, oder saß die Frau des Mannes an der Bar?
Die üppig bestückte Dame griff dem Herrn in den Schritt.
Zayne sah weg.
Hitze stieg ihm unangenehm den Nacken hoch. Wie viel Räumlichkeiten gab es noch gleich? Waren dort bereits andere Leute zu Gange, oder gab es auch Rückzugsorte?
Ein Blick nach zeigte ihm Mirenas Interesse. Ihre Augen klebten an den Fingern des Herrn, die aufgegeben hatten, die Hose der Frau zu öffnen und sich stattdessen unter ihre Bluse verzogen.
Mirenas rotgeschminkte Lippen standen in stiller Aufregung geöffnet, und sie war nicht die Einzige, die starrte. Eine andere Frau gesellte sich zu dem Pärchen und setzte sich neben den Herrn. Sie kniete sich mit einem Bein auf die Sitzfläche, um das Gesicht an den Hals der eben Stöhnenden zu schieben.
Zayne riss sich zusammen, keine Grimasse zu ziehen und sich wieder auf etwas anderes zu konzentrieren. Doch auf was? Ihm war sehr wohl bewusst, dass es wahrscheinlich bald überall so zugehen würde.
„Sollen wir hierbleiben?“, fragte Mirena ihn aufgeregt, ohne zu ihm aufzublicken. Seine Hoffnung stieg, dass sie es sich anders überlegt hatte. „Oder willst du dir die anderen Zimmer ansehen?“ Und die Hoffnung kam scheppernd auf dem Boden auf.
„Umsehen klingt gut … Und wenn du irgendwo bleiben möchtest … oder wenn dir jemand gefällt, sag es.“
Lächelnd blickte sie zu ihm auf. „In Ordnung.“
Doch hatte er nunmal nicht um 15 Uhr Feierabend, sondern um 18.
Er sortierte seine Ordner alphabetisch nebeneinander, schob sie alle gleich weit ins Regal zurück und polierte danach die Oberfläche seiner Tastatur mit einem Brillenputztuch, das er nach Benutzung – zweimal gefaltet – in seiner Schublade verstaute. Die Tastatur platzierte er einen Fingerbreit von der Tischkante entfernt. Der Füller landete in der Halterung. Das Druckerpapier klopfte er zu einem gleichmäßigen Paket und füllte den Drucker damit nach. Währenddessen hatte er Zeit, noch kurz Updates zu installieren und den Rechner danach abzuschalten.
Und obwohl er sich wie immer Zeit mit allem ließ, den Stuhl nah an seinen Schreibtisch schob, hörte er noch immer Stimmen im Flur, sowie das vertraute, hohle Lachen seiner Kollegen. Es störte ihn. Konnten sie nicht pünktlich gehen? Ungern ließ er sich aufhalten, denn das würden sie, das ahnte er.
Seufzend schob er eine Akte in seine Tasche, die er morgen früh im Homeoffice bearbeiten wollte, bevor er ins Büro zurückkam.
Was würden sie wohl heute fragen? Noch hatte er Zeit, darüber nachzudenken, bevor er ihnen begegnete.
„Na, schon Feierabend?“ - Ja. Haha.
„Willst du noch auf ein Bier mitkommen?“ - Danke für die Einladung, aber ich muss nach Hause.
„Was gibt’s bei euch zu Essen? Hat deine Frau gekocht?“ - Es gibt wohl Reste vom Vortag. Bei euch?
Gott, er war es leid. Es war immer dieselbe Leier, doch dieselbe Leier war sicher. Er wusste, was er zu antworten hatte, damit es leicht blieb.
Schmal lächelnd verließ er sein Büro und sobald er die drei Seiner Kollegen im Flur stehen sah. Genauso, wie er es erwartet hatte. Und prompt kam ihm Einladung Nummer 2.8 entgegengeflogen:
„Zayne! Schon Feierabend?“
„Haha .. Ja.“
„Lust, noch auf ein Bier ins Volkh zu gehen? Kay will das baldige Wochenende feiern.“
Kay lachte, als hätte Miles etwas Witziges gesagt. Zayne bemühte sich, das Lächeln beizubehalten.
„Bis zum Wochenende dauert es noch ein wenig. Aber nein, wird heute nichts, meine Frau wartet. Wir wollen raus.“
„Uhh! Ein Date!“ Begeistert formten Miles’ Lippen ein O.
Zayne schob ein künstliches Lachen vor. „Ja, kann man so nennen.“
„Geht ihr essen?“, hakte Kay nach.
„Richtig“, log er mit einer Leichtigkeit, die ihn schon lange nicht mehr erschreckte. „Indisch.“
„Boa, beim Inder war ich schon lange nicht mehr. Das letzte Mal hatte ich dieses Nana-Brot. Nahm. Wie nennt man das?“ Kay plapperte weiter und Zayne klinkte sich mental aus, lächelte, nickte und ließ es Miles und Wyatt, ihm zu antworten. Er passte die perfekte Gelegenheit ab, sich mit einem: „Muss dann los. Bis morgen“ zu verabschieden, ohne, dass es unhöflich wirkte.
„Na dann, grüß die Frau schön!“
„Werd ich. Danke.“ Würde er nicht.
Zaynes Griff um seine Aktentasche lockerte sich erst, als er einen Stehplatz in der S-Bahn ergatterte und für den Moment nichts weiter blieb, als zu warten. Zu warten, bis er fünf Stopps weiter aussteigen konnte. Draußen verschwamm die Stadt hinter angelaufenen Scheiben, doch seine Augen blieben an nichts hängen. An nichts Bestimmten. Seine Finger glitten über den Saum seiner Hemdknöpfe, um zu prüfen, ob alle geschlossen waren. Waren sie. Waren sie immer. Das beruhigte die Unruhe jedoch nur ein wenig, die in ihm hochkroch.
„Vertrau mir, Zayne“, hatte sie ihn gebeten, Mirena mit ihren ruhigen braunen Augen. „Mir ist das wichtig. … Denkst du, du schaffst das für mich? Nur ansehen. Ich will mir das nur mal ansehen, und ich werde nichts tun, mit dem du nicht einverstanden bist.“
Wie hätte er da Nein sagen können?
Nein, ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken.
Nein, das ist mir zuwider.
Nein, findest du das nicht eklig?
Nein, bitte nicht.
Wie hätte er irgendetwas davon sagen können, wenn sie ihn derart hoffnungsvoll angesehen hatte? Ihn mit ihren warmen Augen anbettelnd. Er wollte sie nicht enttäuschen; hatte er nie gewollt. … Und wenn sie sich unzufrieden fühlte, nicht ‚erfüllt‘ – was zu großen Teilen seine Schuld war – war das dann nicht purer Egoismus, ihr zu verbieten, sich auszuprobieren?
Die Haustür schloss sich leise knackend hinter ihm. Dann öffnete er sie noch einmal, schloss sie wieder.
Er stellte seine Schuhe neben die Bank im Flur, richtete sie mit den Zehen aus, obwohl sie ohnehin gerade standen. Der Flur grüßte ihn in gewohnten Grau- und Beigetönen, genauso sein Büro, in das er nur ging, um seine Aktentasche abzustellen. Auch ihre Küche lachte ihm Grau-Beige entgegen, in der er sich ein Glas Wasser schnappte, es austrank und direkt ausspülte, um es zurück ins Regal zu stellen. Eine Fingerkuppe breit schob er es neben die anderen. Glas neben Glas neben Glas. Allesamt auf dem Kopf stehend.
„Ich bin da“, rief er erst jetzt durch das Haus. Nicht laut, aber klar. Eine Antwort blieb aus, was ungewöhnlich war. Normalerweise kam seine Frau zu der Zeit aus ihrem Büro oder wartete am Küchentisch auf ihn. Nicht heute. Das hatte er zwar geahnt, doch dass es nun wirklich so war, stimmte ihn nervös.
Es würde heute also wirklich passieren, oder?
Sie hatte es sich nicht anders überlegt …
Sie hatte keine kalten Füße bekommen …
Oben brannte Licht. Im Badezimmer.
Blei floss in seine Innereien und kurz stieg Übelkeit auf, die er nach einem tiefen Durchatmen wegignorierte. Es gelang, so wie es ihm für gewöhnlich immer gelang.
Zayne ging die Treppe hinauf. Seine Finger mieden das Geländer. Nicht weil es dreckig war, sondern weil er es immer mied.
Die Tür stand halb offen und trotzdem klopfte er mit den Knöcheln, weil es sich so gehörte.
„Komm ruhig rein, Liebling. Ist offen.“
Ja, er sah selbst, dass ‚offen‘ war, doch wollte er sie nicht bei irgendetwas überraschen und sie erschrecken.
Er trat ein, doch sobald er sie sah, wich sein Blick in Richtung des Spiegels aus, wo er sie erneut sah. Seine Frau. Ihre Brüste, die in einem schwarzen Spitzen-BH steckten. Eilig wanderten seine Augen weiter zur Dusche. Dort war es sicherer, doch hatte der kurze Blick gereicht, um alles gesehen zu haben. Sie, in Unterwäsche, ihre sonst zu einem ordentlichen Dutt geschlossenen Haare offen und mühsam gelockt über ihren schmalen Schultern hängend. Gerade trug sie Lippenstift auf. Etwas, das sie sonst nicht tat. Nicht einmal bei ihrer Eheschließung hatte sie Lippenstift getragen.
Ihre Augen waren von etwas Farbe schattiert und mit einem Lidstrich längergezogen worden. Sie sah anders aus. Beunruhigend anders.
„Bin gleich soweit“, gluckste sie – interpretierte seine Nervosität falsch. Er hörte das Zuschnappen des Lippenstiftes und das Klappen einer Lidschattenpalette. „Möchtest du noch etwas essen, bevor wir fahren?“
„Nein. ... Nein, muss nicht sein“, gab er Antwort. „Ich hatte genug zu Mittag.“
„Dass du mir nicht vom Fleisch fällst“, scherzte sie.
„Werd ich nicht. … Ich sollte die Zeit nutzen und duschen gehen.“
„Tu das, Liebling. Lass dir Zeit. Ich bin etwas früh dran mit allem, aber ich war aufgeregt.“ Lächelnd wandte sie sich zu ihm herum. Nun konnte er nicht mehr anders, als sie anzusehen. Sie kam auf ihn zu, legte die Hände auf seine Brust und strahlte ihn an, wie sie schon lang nicht mehr gestrahlt hatte. „So richtig aufgeregt.“
Er lächelte für sie, legte die Hände an ihre Taille, streichelte sie sanft, was ihr Grinsen vertiefte. Sie war mit so wenig zufrieden.
Ja, es war das Richtige, diese eine Sache für sie zu tun. Sie zu begleiten, wenn sie es ausprobieren wollte. Wenn sie ihn derart anleuchtete, dann würde er das aushalten, und wenn es ihr gefiel, dann würden sie vielleicht sogar einmal die Woche hingehen. Das konnte er schaffen. Er musste sich nur zusammenreißen, die Zeit absitzen und es überleben. So tun, als wäre die Sache auch interessant für ihn, damit sie sich nicht schlecht fühlte und nichts für ihn abbrach. Sie hatte genug Nachsicht mit ihm.
„Freust du dich denn?“, hakte sie nach, nun doch unsicher klingend. „So ein kleines bisschen?“
„Aufgeregt bin ich definitiv.“ Das war nicht mal gelogen.
„Das glaube ich. Ist ja auch was ganz Neues. … Und du weißt, dass du jederzeit was sagen kannst, sollte es dir zu bunt werden, oder, Zayne?“
Oh, sie sprach ihn beim Vornamen an. Das hieß, er musste ihr nun aufmerksamer zuhören.
„Ja, ich weiß.“ Seine Hand fand ihre Wange und sie lehnte sich in die Berührung. „Und danke, dass du auf mich achtest, aber ich glaube nicht, dass es mir zu bunt oder zu viel werden wird.“ Doch. Das war bereits der Vorschlag gewesen. „Und falls ich mit der Eifersucht zu kämpfen habe, lass ich es dich wissen.“
Mirena gluckste vergnügt.
„Egal, wem ich in die Hände falle, du bist mein Mann. Vergiss das nicht. Du kannst noch immer mitmischen oder drosseln, was dir nicht-“
„Mirena.“
Aufmerksam blinzelnd sah sie zu ihm auf.
„Alles gut, Schatz. Wir gehen da locker rein, lassen uns mitreißen, wenn es etwas für uns ist, und ansonsten melde ich mich, bevor ich an meine Grenzen stoße.“
Sie lächelte wieder, streckte sich, schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab ihm einen Kuss. Er fühlte den öligen Film des Lippenstifts auf seinem Mund zurückbleiben, den sie schmunzelnd mit ihrem Daumen fortwischte oder eher verschmierte. „Entschuldigung.“
„Quatsch. Ich seh bestimmt bezaubernd in Rot aus.“
Auf seinen Spruch lachend, löste sie sich von ihm, tätschelte seine Seite und ließ ihn abziehen, damit er sich duschen und umziehen konnte. „Ja, das tust du. Wir treffen uns unten.“
Zayne bog mit dem Wagen lautlos in eine Seitenstraße ein, fernab der Hauptmeile. Zwischen zwei altmodischen Backsteinbauten lag ein Haus, das man leicht übersehen konnte. Keine Leuchtreklame. Kein Hinweisschild. Er kontrollierte die Eingabe auf dem Navigationsgerät dreimal, bevor er den Motor abstellte.
„Velours. Das wird es wohl sein.“
„Da steht aber nirgendwo etwas“, sprach Mirena das aus, was er sich eben gedacht hatte.
„Vielleicht absichtlich? Es soll schließlich nicht jeder wissen, was hier geboten wird.“
„Oh, stimmt. Da könntest du recht haben, Liebling.“
Er schenkte ihr ein Lächeln, bevor er wie gewohnt ausstieg, um ihr die Tür der Beifahrerseite zu öffnen.
Ihre ungewohnt hohen Absatzschuhe trafen zuerst auf den Asphalt. Sie musste sich an seiner Hand ausbalancieren.
Mirena hatte sich Mühe gegeben. Sie steckte in einem knappen Kleid aus schwarzem Satin, an der Hüfte eng, das Dekolleté dezent, aber tief genug. Gerade noch geschmackvoll, wie er fand. Ihre Lippen dunkelrot. Sie fühlte sich sexy, was er an ihrem Lächeln ablas, das sie ihm nun seit zwei Stunden präsentierte, und daran, wie sie immer wieder ihre langen Haare zur Seite holte, wenn er sie ansah, wie zur Einladung, ihren Hals und Nacken zu küssen.
Als er die Tür zuschlug und zweimal abschloss, sodass er das Aufleuchten der Reflektoren sehen konnte, glitten ihre Hände an seine Seiten, über sein schwarzes Hemd, das sich hier draußen kühl auf seiner Haut anfühlte. Die oberen zwei Knöpfe trug er offen – ein Kompromiss, auf Mirenas Betteln. Dazu hatte er sich für eine dunkle Hose und saubere Lederschuhe entschieden. Kein Gürtel, kein Schmuck, kein Parfum.
Er fühlte sich nackt, vor allem, als der Wind seine Kehle streifte, und er wünschte sich in einen Sakko oder einen Mantel, in die er sich zurückziehen konnte. Weit zurückziehen.
Im Innen des Velours war es warm. Gedämpftes Licht. Keine grellen Farben, kein schmutziger Plüsch – dem Himmel sei Dank. Spätestens beim Anblick von billigem Plüsch oder hässlichem roten Teppich, den man nicht richtig säubern konnte, hätte er seine Frau gepackt und wäre wieder gefahren.
Das Foyer erinnerte an eine Bar: Dunkle Wände, silberne Akzente, Glas, jedoch keine Musik – nur leises, tiefes Summen irgendwo im Hintergrund. Zayne hörte Stimmen, gedämpft, als kämen sie aus anderen Räumen. Vereinzeltes Lachen, jedoch nicht aufdringlich. Er wollte wieder gehen ...
Eine Dame in einem etwas zu engen, roten Kleid kam ihnen strahlend entgegen, zwei Gläser in der Hand, die sie aus der Kühlung hinter der Theke geholt hatte: „Ein Glas zur Begrüßung?“
Mirena nahm lächelnd an. Zayne lehnte ab. Ihm war jetzt schon schlecht und ungern wollte er auf dieses Gefühl noch Alkohol nachkippen, obwohl dieser vielleicht seine Nerven beruhigt hätte.
Sie wurden in den Salon geführt. Ein Raum mit bequemen Sesseln und diskreten Nischen. Spürbare Spannung lag in der Luft, oder vielleicht bildete er sich diese auch ein. Nein, Mirena fühlte sie auch, die haltsuchend einen Finger in eine der Schlaufen seiner Hose schob, um ihn in der Nähe zu haben.
Es gab eine Bar, keine Tanzfläche. Stattdessen: Augenpaare. Ein paar der bereits Anwesenden sahen zu ihnen herüber. Zayne wusste sofort, dass sie es wussten. Dass sie ‚neu‘ waren. Diese Leute waren öfter hier, kannten sich, so nah wie sie beieinanderstanden.
Er fühlte sie, die Blicke, die interessiert über sie wanderten, unverhohlen und offen. Augen blieben auf Höhe von Taille, Hüfte, Brust und Schritt hängen. Genau dafür waren sie hier … und Zayne sehnte sich nun doch nach einem Glas Alkohol. Pur.
Er hatte der Frau nicht einmal zuhören können, die ihnen gedämpft etwas erklärte, sie anlächelte, während er locker einen Arm um Mirenas Rücken legte und ihr beruhigend über die Seite streichelte – zumindest so tat, als würde er dem Gesagten folgen. Doch sobald er es versuchte, klinkte sein Gehirn sich bei „Kondomen“ und „Safewords“ von ganz allein aus. Die anderen Anwesenden hatten sich wieder ihren Gesprächen angenommen, machten einander schöne Augen, berührten sich. Doch das, was er im Augenwinkel erkennen konnte, blieb alles Anständig. Vorerst. Vielleicht brauchten auch die Stammkunden ihre halbe Stunde zum ‚Reinkommen‘, bevor sie ihre Höflichkeiten und Kleider ablegten.
Und er stand da mit seiner Frau und fühlte sich wie ein Fremder in einem Film, dessen Genre er nicht verstand. Als hätte man ihn falsch gecasted.
Die Rezeptionistin? – oder Hostess? – führte sie schließlich zu einer ruhigeren Ecke. „Fühlen Sie sich frei. Wenn Sie Fragen haben oder sollten sie Hilfsmittel brauchen, die sie nicht in den Räumlichkeiten vorfinden, kommen Sie jederzeit zu mir. Und seien Sie sicher, so wie auch Sie vorab ärztliche Attests über ihre Gesundheit abgeben mussten, müssen das auch alle anderen alle zwei Wochen tun, um weiterhin Mitglied sein zu können. Wir garantieren im Velours Sicherheit und Sauberkeit, sowohl räumlich als auch sexuell.“
„Ja, vielen Dank.“ Seine schlichte Antwort reichte ihr wohl, woraufhin sie sich lächelnd abwandte und zurück zum Foyer ging.
Er fühlte Mirenas Blick, doch brauchte er einen kurzen Moment, bevor er ihn erwidern konnte. Auch sie sah nun etwas nervös drein, doch da lag mehr in ihren Augen. Eine Aufregung. Erregung. Langsam schob sie sich an seinem Arm entlang in eine Umarmung, schmiegte sich an ihn, darauf achtend, ihr Makeup und ihren Lippenstift nicht an sein schwarzes Hemd zu verlieren. Seine Hand begleitete ihren Rücken, blieb zwischen ihren Schulterblättern liegen – seine Finger verfingen sich in den klebrig-steifen Locken, die sie mit Haarspray in Form zu zwingen versucht hatte. Seine Schulter blieben gespannt.
Noch einmal sah er sich um. Auch hier gab es eine Bar, an der ein paar Personen saßen, ansonsten standen überall Sessel und Personen in knapper oder teurer Kleidung. Doch ein Paar hatte sich aus der Menge gelöst, um sich zu den bequemen Sitznischen zurückzuziehen – sie auf dem Schoß des Mannes sitzend. Sie küssten sich. Seine Finger wanderten über ihren üppigen Hintern, bevor sie ihren Hosenknopf suchten. Er trug einen Ehering – sie nicht. Gehörten sie überhaupt zusammen, oder saß die Frau des Mannes an der Bar?
Die üppig bestückte Dame griff dem Herrn in den Schritt.
Zayne sah weg.
Hitze stieg ihm unangenehm den Nacken hoch. Wie viel Räumlichkeiten gab es noch gleich? Waren dort bereits andere Leute zu Gange, oder gab es auch Rückzugsorte?
Ein Blick nach zeigte ihm Mirenas Interesse. Ihre Augen klebten an den Fingern des Herrn, die aufgegeben hatten, die Hose der Frau zu öffnen und sich stattdessen unter ihre Bluse verzogen.
Mirenas rotgeschminkte Lippen standen in stiller Aufregung geöffnet, und sie war nicht die Einzige, die starrte. Eine andere Frau gesellte sich zu dem Pärchen und setzte sich neben den Herrn. Sie kniete sich mit einem Bein auf die Sitzfläche, um das Gesicht an den Hals der eben Stöhnenden zu schieben.
Zayne riss sich zusammen, keine Grimasse zu ziehen und sich wieder auf etwas anderes zu konzentrieren. Doch auf was? Ihm war sehr wohl bewusst, dass es wahrscheinlich bald überall so zugehen würde.
„Sollen wir hierbleiben?“, fragte Mirena ihn aufgeregt, ohne zu ihm aufzublicken. Seine Hoffnung stieg, dass sie es sich anders überlegt hatte. „Oder willst du dir die anderen Zimmer ansehen?“ Und die Hoffnung kam scheppernd auf dem Boden auf.
„Umsehen klingt gut … Und wenn du irgendwo bleiben möchtest … oder wenn dir jemand gefällt, sag es.“
Lächelnd blickte sie zu ihm auf. „In Ordnung.“