The Storyteller

Auszug aus einem RPG, das im Jahre 2000 in einem Kriegsgebiet spielt:

Die Hölle auf Erden - treffender könnte man es nicht formulieren. Überall wo man hinsieht, explodieren Bomben. Splitter, Kugeln und Metallstücke regnen vom Himmel, brennende Teile entflammen die Atmosphäre wie herab stürzende Kometen. Fleischfetzen und Blutlachen übersäen den sandigen Boden, der geschwärzt ist vom vielen Dynamit und anderen Sprengstoffen. Es gibt kaum noch eine Stelle, die man betreten kann ohne sein kostbares Leben aufs Spiel zu setzen. Selbst die schützenden Felsbrocken um sie herum sind stark gefährdet vom Bombenhagel, der mit Leichtigkeit jegliche Art von Stein zu sprengen vermag.
"Hochmut kommt vor dem Fall, Scramble", zitiert der Marine namens Ray neunmalklug zur Erinnerung daran, dass man den Gegner nicht unterschätzen sollte. Den Fehler hat der Sergeant bereits gemacht. Und was hat es ihnen gebracht? Richtig, die Hölle auf Erden. Das buchstäbliche Armageddon. Ruß, Blut und Staub bedeckt seine feixende Visage, als er den Funk-Kontakt zu jenem Piloten namens 'Scramble' vorerst abbricht, um nicht tatenlos zuzusehen, wie ihnen der Arsch gerettet wird von fliegenden Blechdosen. So ein Typ ist er nun mal nicht. Wie die Jungfer in Not auszuharren ist einfach nicht sein Ding. Daher schnappt er sich einen seiner besten Sniper, Matt, und besteigt zusammen mit ihm die felsige Anhöhe wie kriechende Schildkröten, um von hoch oben auf jene zu schießen, die ihre Waffen auf die vorbei sausenden Düsenjäger der US-Army richten in dem verzweifelten Versuch, die lästigen Hornets vom Himmel zu holen. Obschon ein Großteil der Rebellen von den Raketen und Bomben ausgemerzt wurde, denken die wenigen Überlebenden nicht im Geringsten an eine Flucht. Wenn sie schon sterben müssen, dann nehmen sie so viele Amerikaner mit wie sie nur können. Erschreckend und bemerkenswert zugleich, dieser Kampfgeist.
Ray bleibt das hämmernde Herz einen Augenblick lang stehen, als er die Verfolgungsraketen sieht, die Kurs auf Scramble nehmen. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung vermag Scrambles Wingman in letzter Sekunde das Schlimmste zu verhindern. Ray atmet erleichtert aus, als die Raketen abgewehrt werden, sodass der übermütige Kampfjet-Pilot ungeschoren davon kommt. Damit sich ein solches Manöver nicht wiederholt, legt er sich wieder auf die Lauer und feuert eifrig eine Ladung Munition nach der anderen ab in der Hoffnung, dass sie ihr Ziel nicht verfehlen, was in der wolkenschweren Dunkelheit gar nicht mal so leicht ist. Die Senke gleicht inzwischen einem brodelnden Kessel voller massakrierter Leiber. Ray ist froh, keine Details zu sehen, dank der drückenden Finsternis, die sich wie ein Leichentuch auf das übergroße Totengrab legt. Dafür werden sie alle in der Hölle schmoren? Ha! Nach all dem, was er hier erlebt hat, kann ihm das biblische Fegefeuer nichts mehr anhaben. Wer diesen Krieg überlebt, der hat das Schlimmste überstanden und ist für sein Leben gezeichnet. Selbst den hartgesottendsten Killer lässt solch ein Anblick nicht kalt. Es rauscht und knistert wieder in seinem Ohr, weshalb er der Stimme lauscht, die seine Aufmerksamkeit penetrant auf sich zieht.
"Positiv. Keine weiteren Verluste. Kein Feindkontakt", bejaht er die Frage rasch. Direkt im Anschluss teilt er seinem Kameraden Scramble die GPS-Koordinaten ihres Standorts mit:
"33 Grad 20 Minuten südliche Breite, 44 Grad 23 Minuten östliche Länge. Gebiet ist abgesichert. Donovan und ich geben euch Rückendeckung von erhöhter Position. Die Senke gleicht einem Massengrab, dort regt sich nichts mehr. Over and out", beendet er in militärischer Manier die Durchsage, da es nichts mehr zu sagen gibt ihre Lage betreffend. Scramble und seine Fliegerstaffel haben einen guten Job gemacht, was das qualmende Schlachtfeld beweist sowie die brennenden Quads unweit der Felsen. Wie zum Hohn setzt das Donnergrollen der Sturmfront ein, welche binnen Sekunden die zerstörte Landschaft mit jungfräulichem Sand überzieht. Die winzigen Sandkörner sind hart und scharf wie feine Nadelspitzen, was im Gesicht besonders schmerzt. Reflexartig hebt der Marine daher den angewinkelten Arm an zum Schutz vor dem übernatürlichen Geschoss. Es scheint beinahe, als würde nun die Natur anstelle der Iraker die Eindringlinge aus ihrem Hoheitsgebiet vertreiben wollen...