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Seduction in Silk - England im Jahre 1763
      

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#1
sSeduction in Silk
England 1763


1760 - George III wird im Alter von 22 Jahren König
1760 - George ernennt seinen schottischen Tutor und Mentor, John Stuart (3rd Earl of Bute) zum Außenminister
1760 – Der König heiratet die 17-jährige Charlotte von Mecklenburg-Strelitz
1761 - das royale Paar zieht ins Buckingham House, das der Königin als Rückzugsort für die Familie übergeben und fortan Queen's House genannt wird
1761 - Lord Bute wird Premierminister
1761 - Butes Gegner verbreiten das verleumderische Gerücht, er habe eine Affäre mit der Mutter des Königs, und nutzen anti-schottische Vorurteile unter den Engländern aus
1761 - das Parlamentsmitglied John Wilkes gründet die Zeitung „The North Briton“, welche Lord Bute und somit dem König gegenüber feindlich gesinnt ist
Februar 1763 - Frieden von Paris wird unterzeichnet und beendet den Siebenjährigen Krieg, doch der an Bedingungen geknüpfte Waffenstillstand ist stark umstritten
1763 - Lord Bute tritt aufgrund wachsender Unpopularität (vorrangig, weil er Schotte ist) zurück und George Grenville übernimmt das Amt
1763 - Die „North Briton“ veröffentlicht ihre 45. Ausgabe, in welcher der  König direkt angegriffen und als Lügner betitelt wird. John Wilkes wird daraufhin in den Tower gesperrt, kommt jedoch wenige Wochen später frei, da er als Abgeordneter einen besonderen Schutz genießt. Es wird weiter gegen ihn ermittelt.


Charakterverzeichnis

Weiblich
Miss Imogen Smith
Lady Roselyn Shaw
Männlich
Arnwald Herondale, Marquis of Dannamore
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona
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#2
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona

20. September 1763 /// Die Überfahrt von Bilbao nach London nahm drei Tage in Anspruch. Drei Tage, die de la Cruz überwiegend damit zubrachte, zahllose Berichte über Weinexporte und Preislisten durchzugehen, die sich nach dem abrupten Ableben seines Vaters in dessen Unterlagen angesammelt hatten. Nur selten verließ der spanische Herzog seine Kajüte, die einem königlichen Schlafgemach in nichts nachstand. Das Mobiliar bestand aus hochwertigem Ebenholz, die Bezüge aus schimmerndem, nachtblauem Damast und der wertvolle Perserteppich, welcher fast das ganze Zimmer vereinnahmte, war in verführerischem Bordeaux und Gold gehalten. Ja, sein Vater hatte schon immer einen teuren Geschmack gehabt.

Nachdem er einige Weinsorten gestrichen, andere hinzugefügt und die Preise neu aufgelistet hatte, legte Enrique die Feder beiseite und lehnte sich langsam in der wuchtigen Bergère zurück, wie es sein Vater schon etliche Male vor ihm getan haben musste. Er blickte durch das große Bullauge nach draußen, die hellen Augen ob des plötzlichen Lichteinfalls leicht verengt. Ein aprikosenfarbener Horizont strahlte ihm entgegen, verriet ihm, dass sich ein weiterer Tag auf hoher See dem Ende neigte. Bald, sagte er sich, während er mit dem in Silber gefassten Edelstein an seinem Finger den unteren Rand seiner Unterlippe nachzeichnete.
Nach einer Weile, die er neben Packen vor allem damit zubrachte, sich über einen Weinfleck – jedenfalls hoffte er, dass es Wein war, denn er hatte keine Zeit, die Machenschaften seines toten Vaters in Frage zu stellen – im Teppich zu ärgern, vernahm Enrique die Stimme seines Kammerdieners durch die wuchtige Holztür. „Señor, nos acercamos al puerto.“ Ein finsteres Lächeln huschte über die Lippen des Herzogs, bevor er antwortete. „Gracias, Afonso.“

Wenig später ließ die Crew der Aquilón eine hölzerne Rampe herunter. Enrique klopfte Montego, dem Kapitän, freundschaftlich auf die Schulter und lief weiter zu einem großen, hölzernen Verschlag im hinteren Bereich des Schiffes. „Cómo fueron las últimas horas?“ Der schlaksige Bursche, den er mit der Aufsicht seines wertvollsten Besitzes beauftragt hatte, grinste müde. „Él está bien, señor.“ Enrique nickte knapp, zückte eine goldene Münze und schnipste sie dem Jungen entgegen, der sie mit beiden Händen auffing und sich grinsend verneigte. Nachdem er davon gestürmt war, um der restlichen Crew unter die Arme zu greifen, entriegelte de la Cruz die Tür des Verschlags.

„Es hora, mi amigo.“ Als das Tier den riesigen Kopf an seine Brust schmiegte, schob Enrique ihn lächelnd von sich und ging dazu über, ihm Sattel und Zaumzeug anzulegen. Mehr als einmal wurde er unterbrochen, da es niemandem in den Kopf zu gehen schien, dass sich ein Herzog zum Verrichten solch niederer Aufgaben herabließ. Doch schließlich war es vollbracht. Nach kurzer Absprache mit Montego führte er seinen feuerroten Hengst über das Deck, bis sie die heruntergelassene Rampe erreichten. Sämtliche britische Kinnladen klappten nach unten, als sie das sonderbare Gespann erblickten, wobei sich nur schwer sagen ließ, ob der edle Vierbeiner der Grund dafür war, oder sein Besitzer. De la Cruz hatte ganz und gar darauf verzichtet, sich der modernen, britischen Mode anzupassen. Er trug ein schwarzes Doublet aus Wildleder mit einsehbaren Ärmeln, darunter ein weißes Hemd. Ein schweres Capelet verhüllte die Hälfte seines athletischen Oberkörpers, und auf dem Kopf trug er ein Barett aus schwarzem Samt, an dem eine Straußenfeder befestigt war. Hinzu kam, dass er sein Haar kurz trug und nicht lang, wie es hierzulande üblich war.

Ja, doch, er konnte mit Fug und Recht behaupten, alle Register gezogen zu haben, um seine Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen. Einzig ein Glas Wein in der Hand hätte ihn noch spanischer aussehen lassen. Während er sein Pferd die Rampe hinunter führte, beäugte Enrique ausgiebig seine Umgebung. Drei junge Damen, die dicht beieinander standen, fächerten sich ununterbrochen Luft zu, als hätten sie nie zuvor einen männlichen Artgenossen gesehen, und ein junger Bursche mit schmutzigen Wangen bewunderte mit großen Augen den tänzelnden Vierbeiner. „Señor de la Cruz.“ Ein Mann Mitte 60 trat aus der Menge hervor, zog seinen Dreispitz und verneigte sich. Eine graue Perücke zierte sein Haupt und verlieh ihm ein altehrwürdiges Aussehen, doch Enrique wusste es besser. „Lord Browning“, folgerte er, klopfte seinem Hengst den Hals und drehte sich ganz langsam zu dem Mann um – als könne es seinem guten Ruf schaden, das zu tun. „So ist es, Euer Gnaden. Es ist mir eine Ehre, Sie in London willkommen zu heißen.“ Enrique musterte ihn prüfend. „Mein Vater“, sagte er kühl, „hat mir viel von Ihnen erzählt.“ Der Angesprochene versteifte sich. De la Cruz bemerkte es, ließ ihn aber einen Augenblick zappeln, ehe er ihm keck zuzwinkerte. Ein Lächeln blieb jedoch aus, was Browning in einem Strudel aus Erleichterung und Unsicherheit zurückließ. „Nun gut“, fuhr er händeringend fort, wandte sich zur Hälfte um und streckte seinen Arm in Richtung seiner wartenden Kutsche aus. „Wie versprochen bin ich gekommen, um Sie abzuholen. Vielleicht möchten Sie ihr edles Tier einem meiner Männer übergeben?“

Enrique beantwortete die Frage, indem er schief lächelte, sich wortlos umdrehte und sich ebenso elegant wie kraftvoll auf den Rücken seines Hengstes schwang. Ein Raunen ging durch die Menge. Lord Browning war seinerseits kurz verblüfft, doch dann lachte er und machte kehrt, um allein in seine Kutsche zu steigen.
Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie Chesterville Street, die von zahlreichen Stadthäusern gesäumt war, dabei jedoch weder prunkvoll noch ärmlich wirkte. Es war ein Ort, an dem sich vor allem gut betuchte Kaufleute niederließen, teils aber auch Angehörige des niederen Adels. Enrique ließ zu, dass sein Pferd in die Stallungen geführt und versorgt wurde, während er seinen Gastgeber, der einst ein Freund seines Vaters gewesen war, ins Haus begleitete. Wie vereinbart, würden sie schon am darauffolgenden Abend einem Ball beiwohnen, um keine Zeit zu verlieren, ehe de la Cruz in drei Tagen zu seinem Landwohnsitz aufbrach. Natürlich dachte Browning, dass sein edler Gast lediglich wegen des Weinhandels und dessen Expansion angereist war, und Enrique sah keinen Grund, den Mann zu beunruhigen, indem er ihm die Wahrheit sagte.

Nachdem er das Schlafgemach bezogen hatte, das für ihn vorbereitet worden war, nahm der junge Herzog ein Bad und ließ sich anschließend von Afonso beim Anziehen helfen, ehe Lord Browning ihm beim Abendessen eine Reihe britischer Gepflogenheiten nahezulegen versuchte. Enrique war ein belesener Mann und bereits mit allem, was der Mann ihm auftischte, vertraut. Er bewog sich aber, dies für den Fall, dass er trotzdem etwas Unerhörtes tat – schließlich neigte er von Natur aus zu erinnerungswürdigen Auftritten –, für sich zu behalten. So würde Browning immerhin nicht lügen müssen, wenn er den Engländern erklärte, dass sein Gast nun einmal Ausländer und dies der Grund für etwaiges Fehlverhalten war. Enrique scherte sich nicht darum, was die Briten von ihm dachten, doch er war nicht hier, um allgemeine Unruhe zu stiften. Im Gegenteil. Je weniger er auffiel, desto besser – dachte er und entschied sich am nächsten Abend, als sie sich für den Ball fertigmachten, trotzdem für dieselbe unkonventionelle Aufmachung, die er am Tag seiner Ankunft getragen hatte. Der einzige Unterschied war, dass das schwarze Doublet mit goldenen Knöpfen anstatt schwarzen ausgestattet war, und er darauf verzichtete, sein Barett zu tragen.

Weil der Ball ebenfalls in London und dazu nur wenige Straßen entfernt stattfand, willigte der junge Herzog ein, in Lord Brownings Kutsche mitzufahren. Sie erreichten den Veranstaltungsort, ein freistehendes Stadthaus, in einem Strudel aus weiteren Kutschen und mussten einige Minuten warten, bis sie aussteigen konnten. Enrique bereute es sofort, nicht selbst geritten zu sein. Andererseits wollte er die unbeschlagenen Hufe seines Hengstes nicht den harten Pflastersteinen Londons aussetzen, und arrangierte sich daher mit den gegebenen Umständen.
Nachdem Browning seinen Mantel einem livrierten Diener in die Hand gedrückt hatte, während de la Cruz sein Capelet anbehielt, betraten die beiden Männer den prall gefüllten Saal. „Ah“, grinste Browning, wobei er sich leicht zu Enrique herüberlehnte. „Ich sehe bereits einen Gentleman, dem ein äußerst exklusiver Weingeschmack nachgesagt wird. Wenn Sie möchten, stelle ich Sie einander vor?“ - Wie sich zeigen sollte, war dies nicht nötig. Binnen kürzester Zeit war Enrique der unangefochtene Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, ein Zustand, der sich erst wieder legte, nachdem er eine halbe Stunde lang mit demselben Mann sprach, weil dieser tatsächlich etwas von Wein zu verstehen schien. Browning suchte sich indes eigene Opfer, wie er es sympathischerweise formulierte, was dem hochgewachsenen Spanier die Möglichkeit gab, sich ungestört ein Bild von der britischen Oberschicht zu machen.

Nachdem er sich dem Verhör einer wollüstigen, wenn auch wohlhabenden Witwe entzogen hatte, traf sein Augenmerk unerwartet das einer jungen Frau. Da sie auf der gegenüberliegenden Seite des Saals stand, knapp hundert Fuß von ihm entfernt, war es durchaus bemerkenswert, dass sich sofort ein Feuer zwischen ihnen entzündete. Ihre Blicke verschmolzen miteinander – bis Enrique verwegen schmunzelte und sich abwandte. In den nachfolgenden Minuten manövrierte er sich langsam weiter durch den Saal; jede Geste, jeder Blick in ihre Richtung die reinste Verführung. Doch er wandte ihr auch immer wieder den breiten Rücken zu, unterhielt sich mit Fremden, die ihn ansprachen und schürte damit heimtückisch die Flammen, die zwischen ihnen zu lodern begonnen hatten, sowie sich ihre Blicke zum ersten Mal begegnet waren. Besonders reizvoll war es, wenn sie ihn unentwegt anstarrte, um dann fluchtartig wegzusehen, wann immer er es bemerkte. Irgendwann, nachdem sie ihr Spiel eine Weile gespielt hatten, gesellte sich ein junger Mann zu ihr. Enrique musterte ihn flüchtig, entschied, dass der Bursche chancenlos war und nutzte die Zeit, in der seine feuerhaarige Spielgefährtin abgelenkt war, um in der Menge zu verschwinden.

Als er wieder auftauchte, tat er dies nur wenige Schritte hinter ihr. Der Mann, mit dem sie gesprochen hatte, war fort. De la Cruz lächelte schief, während er ihren hübschen Kopf verwirrt von links nach rechts huschen sah, unverkennbar nach ihm Ausschau haltend. Erst, nachdem er sie halb hatte verzweifeln lassen, bewog er sich, näherzutreten. Ein wunderbarer, dezenter Duft umspielte seine Sinne. Diese Frau, dachte Enrique, war nicht nur schön, sondern duftete auch noch fantastisch. Inzwischen war er ihr so nah, dass sie seine Wärme an ihrem Rücken spüren dürfte. Ehe sie sich dem jedoch bewusst werden konnte, beugte er sich über ihre Schulter, brachte sein Gesicht neben ihres und raunte tief: „Stellen Sie mir nach, Señorita?“
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#3
Lady Roselyn Shaw

20. September 1763 /// Wer ist das?

Dieser Satz ihrer Freundin, hallte schon den ganzen Tag und Abend in Rosie's Gedanken nach. Im Grunde seitdem sie vom Hafen zurückgekehrt war.
Sie war mit ihren Freundinnen Lady Margareth und Lady Jane, beides Töchter angesehener Adelsoberhäupter, die Promenade des Hafens entlang flaniert und hatte sich mit ihnen gerade über den neuesten Klatsch und Tratsch unterhalten, als sich eine Menschentraube am Hafen versammelt hatte. Doch das fremdländische Schiff, das gerade geankert hatte, beziehungsweise vielmehr der überaus stattliche Fuchs, der gerade von Bord geführt wurde, hatte nicht nur Rosie's sondern auch die Aufmerksamkeit ihrer Freundinnen auf sich gezogen und ihnen die Sprache verschlagen (was zumindest bei Margareth äußerst selten vorkam), sodass die neuesten Skandale plötzlich vollkommen uninteressant geworden waren.

"Keine Ahnung." Rosie hatte gar nicht wirklich bemerkt, dass sie geantwortet hatte. Nur durch das äußerst unangenehme Kratzen in ihrem trocken gewordenen Hals, war sie aus ihrer Träumerei herausgerissen worden und sie hatte bemerkt, dass sie das Pferd und das bisschen, das sie von seinem Reiter erkennen konnte, der von der Menschenansammlung verdeckt worden war, geradezu angeschmachtet hatte. Rosie liebte Pferde, vor allem, da sie ihr beim Reiten das Gefühl gaben, frei zu sein. In letzter Zeit aber war sie kaum zum Reiten gekommen. Ihre Mutter sah es äußerst ungern und verbot es Rosie immer wieder. Doch nicht nur sie war hin und weg gewesen, auch ihren Freundinnen und so ziemlich jeder Frau, die sich in unmittelbarer Nähe befunden hatte, hatte man ansehen können, dass der Herr mit dem Pferd eine besondere Wirkung auf sie hatte.

"Na, ich hoffe doch mal, er ist nicht nur zum Reiten hier." hatte Jane hinter ihrem Fächer ihren Freundinnen zugeflüstert.
"Ich hoffe, er ist genau deswegen hier." Margareth's frivole Antwort hatte ein aufgeregtes Kichern unter den beiden Edeldamen hervorgerufen, die sich hinter ihren Fächern versteckten.
"Wie kannst du nur so etwas sagen? Ausgerechnet hier!" hatte Roselyn ihre Freundin getadelt und war dabei rot wie eine Tomate angelaufen. Im Gegensatz zu Jane und Rosie war Lady Margareth noch nicht verheiratet oder verlobt, obwohl sie älter war als die beiden, und war bekannt dafür, dass sie nicht viel darauf gab, was andere von ihr dachten. Rosie vermutete, dass ihr burschikoses Verhalten der Grund dafür war, dass sie noch keinen Antrag erhalten hatte.

"Ach Rosie, sei doch nicht so stocksteif. Ich bin mir sicher, dein Zukünftiger wird es dir sicher danken." Roselyn hatte es mittlerweile aufgegeben Margareth dazu zu bringen, sie in der Öffentlichkeit nicht mit ihrem Spitznamen anzusprechen, die Brünette dachte gar nicht daran es nicht zu tun.

"Vielleich solltest du nicht so sprechen wie ein Waschweib, dann endest du auch nicht als alte Jungfer!"

"Pssssst!"

"Misch du dich nicht ein, Jane, du Glückliche." 

"Glücklich? Ich?"

"Ja klar. Du liegst deinen Eltern nicht mehr auf der Tasche, wohnst in einem stattlichen Anwesen und dein Mann ist quasi nie da, bringt aber dennoch ein Vermögen nach Hause. Was gibt es besseres?"

"Ach Maggie, du stellst dir das wirklich alles so leicht vor."

Die drei Edeldamen konnten verschiedener nicht sein, sowohl vom Aussehen als auch vom Charakter her. Dennoch verstanden sie sich wunderbar und konnten sich auch necken, ohne dass die eine sofort beleidigt war.

"Bevor das hier jetzt ausartet, gehe ich lieber. Ich muss mich für den Ball heute abend vorbereiten. Und wie ich meine Mutter kenne, zieht sie alle Register, bis sie das perfekte Kleid für mich gefunden hat." hatte sich Roselyn verabschiedet. Sie hatte noch einen letzten Blick zurück in die Menge geworfen, doch der Mann war nun mit dem Rücken zu ihr auf seinem Pferd gesessen und wurde gerade in die entgegengesetzte Richtung geführt.


Wie erwartet, waren die Vorbereitungen schon in vollem Gange gewesen, als sie zurückgekehrt war. Augenblicklich hatte ihre Mutter sie in den Salon geschickt, um eine Reihe von Kleidern zu probieren. Als nach mehreren Stunden endlich die Robe, der Schmuck, die Frisur und die Schminke festgestanden hatten, die Roselyn an diesem Abend tragen sollte, war sie auch schon zum Baden geschickt worden. Heute sollte ihr endlich ihr Verlobter vorgestellt werden, da musste alles an ihr perfekt sein. So sehr sie sich ihrer Pflicht als Tochter des Earls und der Countess Shaw bewusst war, so sehr langweilte sie das Aufhebens, das an solchen Anlässen gemacht wurde. Es fühlte sich mehr und mehr wie ein Gefängnis an, da Roselyn ihre Eltern und auch ihren unbekannten Verlobten aber nicht enttäuschen wollte, ließ sie die Prozedur jedesmal stillschweigen über sich ergehen. Dieses mal hatte es ihr wenigstens die Gelegenheit gegeben über den Fuchs und seinen mysteriösen Reiter nachzudenken. Sie hatte leider nicht viel von dem Besitzer gesehen, sein Pferd ragte hoch und die Menschentraube war groß und dicht gewesen. Sie wusste aber, dass nur ein Mann aus sehr gutem Hause sich ein derart prächtiges und schönes Pferd leisten konnte.

Nun stand sie hier, Stunden später, inmitten der Ballgesellschaft und noch immer spukte ihr der Mann mit dem Pferd im Kopf herum. Wie immer waren die Oberhäupter der Adelshäuser inklusive ihrer Kinder und die gut Betuchten anwesend, die sich unter anderem trafen, um Ehen mehr oder weniger hinter dem Rücken ihrer Kinder zu arrangieren oder sich gegenseitig mit der Fülle ihrer Pracht und Portemonnaies auszustechen. Roselyn ließ den Blick durch die Menge schweifen auf der Suche nach einem bekannten Gesicht. Selbst ihre kleine Schwester Abigail wäre nun eine willkommene Abwechslung. Und genau als der Herzog von Lancaster, ein sehr wohlgenährter Mann, an ihr vorbeiging, um den Herzog von Worcester ausladend zu begrüßen, geschah es.

Obwohl sie das Gesicht des Mannes am Hafen nich gesehen hatte, wusste Roselyn sofort, dass er es war. Seine turmalinblauen Augen verschmolzen sofort mit ihren Topasen und ein unsichtbares Feuer entbrannte zwischen Ihnen. Roselyn konnte den Blick nicht von ihm lassen und auch er schien sich nicht von ihr lösen zu können. Bis er es doch tat. Immer wieder wandte er sich ab, nur um sie kurz darauf dabei zu erwischen, wie sie ihn anstarrte. Ihr wurde plötzlich sehr heiß und ihr Korsett schien viel zu eng zu sein. Den Menschen, die an ihr vorbeigingen und sie grüßten, schenkte Rosie kaum die Aufmerksamkeit, die sie hätte an den Tag legen müssen. Sie wusste, dass ihr Verhalten sich nicht schickte, schon gar nicht an diesem Abend. Und dennoch verfolgte Roselyn's Blick ihn durch die Menge, bis plötzlich ihr Bruder Remington II. in ihrem unmittelbaren Sichtfeld auftauchte.

"Rosie, hast du Vater gesehen? Er wollte mir jemanden vorstellen."

"Keine Ahnung, Rem." antwortete Rosie beiläufig und versuchte an ihrem Bruder vorbeizusehen. Doch der mysteriöse Fremde war verschwunden.

"Suchst du jemanden?" fragte Remington Jr. und drehte sich um, um den Blicken seiner Schwester zu folgen.

"Ja. Also, nein. Unwichtig."

Remington II. musterte seine Schwester mit einem Grinsen, ehe er ganz nah vor sie trat um ihr ins Ohr zu flüstern. "Na, ganz so unwichtig scheint es nicht zu sein, Schwesterherz. Du bist ganz rot im Gesicht."

Da sie in der Öffentlichkeit waren, noch dazu bei einem Anlass, der Rosies Zukunft verändern sollte, konnte die junge Lady Shaw ihrem Bruder nicht die Strafte zu Teil werden lassen, die sie ihm in den eigenen vier Wänden gegeben hätte. Stattdessen konnte sie ihn nur mit einem bösen Blick strafen und ihm leise zuzischen, dass er verschwinden sollte, was er dann auch tat, jedoch nicht ohne ein vielsagendes Kichern. So sehr sich Rosie bemühte, der Fremde war verschwunden. Ihre Augen durchkämmten den Saal, doch weder auf der einen noch auf der anderen Seite konnte sie ihn erblicken.
Doch plötzlich durchzuckte sie ein seltsames jedoch aufregendes Prickeln, das ihr von ihren Füßen, über den Rücken, bis in den Scheitel eine angenehme Gänsehaut bescherte. Sie hatte jedoch keine Zeit sich Gedanken darüber zu machen, woher dieses wohlige Gefühl kam.

"Stellen Sie mir nach, Señorita?"

Mit allem hatte Rosie gerechnet, jedoch nicht, dass sich jemand an sie heranschleichen würde. Dementsprechend heftig war ihre Reaktion auf diesen Schreck, sodass sich die nahen Umstehenden nach ihr umdrehten. Peinlich berührt ob ihres kleinen Aufschreis, nahm Roselyn die Hand von ihrem Mund weg und straffte die Schultern.

"Sie haben mich erschreckt." Sein Anblick machte den Vorwurf in ihrer Stimme fast nicht existent, stattdessen klang es nun mehr wie eine Tatsache. Aus der Nähe sah der Fremde noch attraktiver aus, und Roselyn hatte das plötzliche Bedürfnis sich übertrieben oft zu räuspern. Wo waren nur die Bediensteten, wenn man sie brauchte?
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#4
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona

Die ausufernde Reaktion der jungen Frau überraschte auch Enrique, der weiß Gott nicht im Sinn gehabt hatte, ihr den Schock ihres Lebens zu verpassen. Jedenfalls nicht so. Eine Braue zart gehoben, ließ er seinen Blick über all die sensationssüchtigen Oberschichtler schweifen, die sich ihnen zugewandt hatten, nachdem der spitze Aufschrei der Lady zu ihnen durchgedrungen war. De la Cruz hingegen schmunzelte entspannt, ehe er den übrigen Abstand zwischen ihnen überbrückte und nach ihrer freien Hand griff, um diese wie der Gentleman, der er überwiegend war, an seinen Mund zu führen. „Nicht mit Absicht, das versichere ich“, erklärte er galant, ein gefährliches Glitzern in den eisblauen Tiefen, das seine dunkle Aura abrundete. Als er seine Lippen auf die Rückseite ihrer Finger legte, tat er dies mit einer ungewöhnlichen Sinnlichkeit. Er hätte ebenso gut ihren Nacken küssen können, die Wirkung wäre die gleiche gewesen.

Enrique lächelte gegen ihren Handrücken, als er sah, wie sich die feinen Härchen auf ihrem Arm aufstellten. Sein Blut begann zu köcheln, während er an die zahllosen Freuden dachte, die ein Mann seines Kalibers diesem zauberhaften Geschöpf bescheren könnte – doch für jetzt bewog er sich, Gnade zu zeigen, ihre Hand freizugeben und sich wieder zu voller Körpergröße aufzurichten. De la Cruz war ein Mann von beachtlicher Größe, besonders für einen Spanier.

„Verraten Sie es niemandem, aber ich wollte mich gerade ein wenig umsehen in diesem…“ Sein Augenmerk glitt durch den weitläufigen Saal, während er nach den passenden Worten suchte. „...bemerkenswerten ejemplo britischer Baukunst.“ Er ließ nicht durchschimmern, ob er das positiv oder negativ meinte. Undurchschaubarkeit war eine seiner besten und zugleich beunruhigendsten Eigenschaften. „Vielleicht möchte mir die Señorita Gesellschaft leisten?“ Enrique entfernte sich rückwärts einen Schritt. „Sofern sie den Mut aufbringt, mit mir allein zu sein, por supuesto.“ Ein warmes Lächeln umschmeichelte seine vollen Lippen, ehe er sie mit dieser offenen Herausforderung allein ließ und souverän auf den dunklen Korridor zusteuerte, in dem er wenige Augenblicke später verschwand.

De la Cruz wurde eins mit den Schatten, während er bei schwachem Kerzenlicht diverse Wandgemälde und Stuckverzierungen begutachtete. Ein Mann mit schiefem Kiefer, kränklichem Teint und einer fürchterlichen Nase starrte ihn an, als er sich vom Portrait einer Dame mit gigantischer Hochsteckfrisur abwandte, und ließ den jungen Spanier die Stirn furchen. Dieser Mann, dachte Enrique, hätte sich wirklich nicht malen lassen sollen.
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#5
Lady Roselyn Shaw

Ihr Auftritt hätte peinlicher nicht sein können. Sie spürte förmlich, wie unzählige Augenpaare sie und ihr stattliches Gegenüber musterten, sie quasi durchbohrten und abwägten, ob sie eines neuen Gerüchts würdig waren. Dabei hasste Roselyn das Rampenlicht. Was würde nur ihre Mutter sagen, wenn sie davon erfuhr? Am liebsten wäre Roselyn weggelaufen, in einen einsamen Korridor oder nach draußen in die kühle Abendluft, Hauptsache weg von all den Schaulustigen, die bereits begonnen hatten sich wieder abzuwenden und hinter vorgehaltenen Händen über ihre unangebrachte Reaktion zu tuscheln.

Ihr Herz hämmerte immer noch wie wild gegen ihre Brust und das in ihren Ohren rauschende Blut, ließ alle anderen Geräusche dumpf und weit entfernt klingen. Der Schreck steckte ihr zwar noch in den Knochen, doch das war nicht der Grund dafür, dass sie sich nicht beruhigen konnte. Es war diese Aura, die den mysteriösen Fremden umgab: Dunkel, gefährlich und unheilverkündend, und doch war sein Blick geschwängert von einer Sinnlichkeit, die Roselyn erneut das Blut in die Wangen trieb. Noch nie hatte sie erlebt oder beobachtet, dass ein Mann eine Frau so angesehen hatte. Seine Entschuldigung klang unehrlich, und dennoch konnte Rosie nicht länger nachtragend sein. Sein dunkler Bass und der fremdländischer Akzent waren wie rauer Samt, der ihre zarte Haut liebkoste. Vermutlich hätte sie ihm sogar die offensichtlichste Lüge abgekauft, solange er nur weitersprach.

Er griff nach ihrer Hand und erneut durchzuckte sie dieses seltsam angenehme Prickeln, kaum dass seine Lippen ihre Knöchel berührt hatten. Eine unkontrollierbare Gänsehaut breitete sich wie ein Lauffeuer über ihren gesamten Arm und Rücken aus, obwohl der Raum wohl temperiert war und sie selbst das Gefühl hatte vor Hitze zu zerfließen. Wie zur Salzsäule erstarrt beobachtete sie ihn, wie er selbst während des Handkusses seine Augen nicht von den ihren lassen konnte. Sein Blick zeugte von all den Dingen, die er mit ihr tun könnte und Roselyn zweifelte das erste Mal in ihrem Leben an ihrer Stand- und Tugendhaftigkeit. Dieser Mann bedeutete Unheil, das spürte Roselyn, doch seltsamerweise war es genau diese Dunkelheit, die sie so anziehend fand.

Rosie interessierte sich nicht für Architektur, doch sie hing an seinen vollen Lippen, als er über das Gebäude sprach, indem sie sich befanden. „Mhm…“ war alles, was die junge Lady herausbrachte. Doch so schnell wie sie aufgekeimt war, war die Faszination auch schon wieder verflogen, als der Unbekannte sie herausforderte ihm zu folgen. Innerlich zerrissen zwischen ihrem Pflichtbewusstsein und dem Drang, dieser elektrisierenden Anziehung nachzukommen, verharrte Roselyn an Ort und Stelle unentschlossen. Der Mann verschwand im verlockenden Schatten, während ihre Augen den Ballsaal nach einem rettenden Anker durchkämmten. Selbst ihre kleine Schwester wäre ihr gerade recht gewesen. Doch niemand war in greifbarer Nähe, man hatte sie allein gelassen, obwohl dies doch heute ein besonderer Abend werden sollte. Dann konnte sie sich doch wohl auch amüsieren, oder nicht?

Roselyn vergewisserte sich noch einmal zögerlich, dass niemand ihr Bekanntes in ihrer Nähe war, ehe sie der Verlockung nachgab und dem Mann ins Dunkle folgte. Zuerst war sie blind, doch das schwache Kerzenlicht half ihr, sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Sie ging, nein lief beinah, durch den Korridor, als suchte sie einen verlorenen Schatz. Sie entdeckte den Unbekannten schließlich , wie er vor einem Wandgemälde stand und dieses kritisch beäugte. Eine neue Welle Gänsehaut überkam sie, als ihr bewusst wurde, dass sie wirklich allein mit ihm war. Schon lange hatte sich Rosie nicht mehr so lebendig gefühlt, ihr Leben war schließlich alles andere als aufregend.

„Wie ich sehe, haben Sie bereits mit Lord Chamberlain Bekanntschaft gemacht.“ sprach sie ihn sanft an, als sie endlich den Mut dazu aufgefasst hatte. Sie musterte das Portrait ebenfalls und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. “Man sagt, er habe 50 Künstler beauftragt, die ihn portraitieren sollten. Selbstverständlich haben sie alle ihr Bestes gegeben, um Lord Chamberlain zu schmeicheln. Dieses hier war wohl das, was ihn seiner Meinung nach von seiner besten Seite zeigte.“ Belustigt beobachtete sie den Herren neben ihr. Vermutlich dachte er gerade das gleiche, wie sie. Wieso ließen sich immer die unansehnlichsten Menschen auf Leinwand verewigen?
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#6
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona

Enrique war ein aufmerksamer Mann. Er spürte, dass er nicht mehr allein war, noch ehe die junge Frau, der er eben noch schöne Augen gemacht hatte, die Stimme erhob und in seinem Blickfeld erschien. Als sie aus den Schatten heraus ins Kerzenlicht trat, zupfte ein verschmitztes Lächeln an seinem rechten Mundwinkel, dessen Ursprung nur er allein kannte.
Der junge Herzog war kein großer Kunstkenner. Er konnte sich für ein stimmiges Bild begeistern, wobei ihm Landschafsgemälde die liebsten waren, und er vermochte in etwa eine Handvoll talentierter Künstler beim Namen zu nennen. Weiter reichten seine Kenntnisse nicht, was zweifellos auf mangelndes Interesse zurückzuführen war, aber er hatte in seinem Leben genügend Portraits gesehen, um das Werk eines fähigen Malers von dem eines unbeholfenen Amateurs unterscheiden zu können – und dieses Exemplar war gewiss nicht dem Pinselstrich eines Anfängers entsprungen. Es war sehr realistisch. Vielleicht zu realistisch, in Anbetracht des Motivs.

„Oh, ich bin sicher, der Künstler tat was er konnte.“

Erst jetzt blickte er zu der feuerhaarigen Schönheit herüber, eine Braue bedeutend gehoben und die Lippen zu einem betörenden Lächeln verbogen, während seine Augen silberne Flammen spuckten. Es war nicht möglich. Er konnte diese Frau nicht ansehen, ohne Verlangen zu empfinden. Und nun, da sie alleine waren, würde er es auch nicht mehr versuchen.

„Bitte verzeihen Sie-“, begann er, wandte sich auf dem niedrigen Absatz seiner Stiefel zu ihr um und schritt langsam auf sie zu. „-dass ich unserem.. anregenden Spiel ein Ende gesetzt habe.“

Je näher er ihr kam, desto mehr von ihrem wunderbaren Duft umgab Enrique, mischte sich mit seinem, der eine warme, einprägsame Mischung aus Orange und spanischem Zedernholz war. Er senkte den Kopf, als er unmittelbar vor ihr zum Stehen kam, wie auch seine samtene Stimme und hauchte: „Aber als ich Sie mit diesem anderen Mann reden sah…“

Stille. Sein Blick glitt unter halbgesenkten Lidern über ihren Mund, wobei er wie in Zeitlupe den Kopf neigte, als wunderte er sich, wozu diese zauberhafte Kreation der Natur wohl gut sein mochte. In Wahrheit fielen ihm darauf weit mehr Antworten ein, als er je öffentlich preisgegeben hätte.

„Me hizo perder la calma. Ich verlor die Beherrschung.“ Als er ihr nach diesem überraschenden Geständnis wieder in die Augen sah, lächelte de la Cruz. Ehrlich, sanft, betörend - und fuhr fort, ohne ihr Zeit zu geben, seinen Worten eine tiefere Bedeutung beizumessen.

„Kommen Sie.“ Schmunzelnd zog er sich zwei Schritte zurück und streckte seine Hand nach ihrer aus, anstatt ihr seine Armbeuge anzubieten, wie es ein manierlicherer Mann getan hätte. Enrique konnte manierlich sein, doch nicht jetzt. „Sehen wir uns ein wenig um.“
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#7
Lady Roselyn Shaw

Innerlich lachte Rosie aus vollem Herzen, doch hier, auch wenn sie sich beide gerade alleine in diesem Korridor befanden, unterdrückte sie die Belustigung so gut es ging, sodass nur ein heiseres Kichern von ihr zu hören war. Wie Recht der Unbekannte doch hatte, ohne es zu wirklich zu wissen.

Ehe sie sich versah, kam er direkt auf sie zu, mit einem Blick, der ihr ein freudiges Kribbeln in der Magengegend bescherte, und doch wich sie mit jedem Schritt, den er in ihre Richtung tat, einen zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand prallte. Was tat er da? Wusste er nicht, dass sich so ein Verhalten nicht schickte? Er hielt sie in seinem brennenden Eis gefangen und Roselyn war es zum ersten Mal egal, was andere von ihr dachten. Es war ihr egal, ob man sie mit diesem Fremden, der ihr eindeutig zu nah war, dafür dass sie in keinerlei engerer Beziehung standen, erwischte. Vor allem war es ihr egal, dass ihre Eltern vielleicht gerade Ausschau nach ihr hielten, um sie ihrem Verlobten vorzustellen, den sie noch nicht einmal kannte. Er konnte definitiv kaum interessanter sein, als das Geschöpf vor ihr.

Wohin sein Blick wanderte, blieb ihr nicht verborgen. Sein Duft war betörend und beruhigend zu gleich. Er hatte etwas wildes, kräftiges an sich, und doch gab er ihr ein Gefühl von Freiheit, die gleiche, die sie spürte, wenn sie ausritt. Und obwohl ihr Kleid aus mehreren Schichten Stoff bestand, bildete sich eine Gänsehaut auf ihrem Dekolleté. Sie fühlte sich nackt unter seinem Blick, und welche Art von sündigen Versuchungen ihm auch immer gerade durch den Kopf gingen, ihr Körper schien unwillkürlich darauf zu reagieren.

Wieder stieg ihr die Röte ins Gesicht, doch diesmal war es der Erkenntnis geschuldet, dass ihr diese aufregenden, verbotenen Gefühle gefielen. Sehr sogar. Wieder sprach er in einer ihr unbekannten Sprache und sein süßer Atem, der ihr dabei ins Gesicht wehte, riss sie wieder in die Wirklichkeit. Obwohl sie sich in seinem Duft und seinen Augen verloren und daher kaum zugehört hatte, wusste sie instinktiv, was ihn genau die Beherrschung verlieren hatte lassen.

"Mein Bruder..." wollte sie sich erklären, er sollte schließlich nicht denken, sie wäre bereits vergeben und jegliche Mühe umsonst. Doch erneut lockte er sie ihm zu folgen. Sie musste nur nach seiner Hand greifen und die Einladung annehmen. Würde er sie in die Dunkelheit ziehen und verschlingen, wie die Spinne die Fliege? Vermutlich.
Am Rande ihres Bewusstseins hörte sie eine Stimme nach ihr rufen. Nein. Noch nicht. Sie war noch nicht bereit dafür das Feuer zwischen ihnen zu ersticken, also legte sie kurzerhand ihre Hand in die seine und ließ sich weiter in die Dunkelheit ziehen, weg von den Pflichten als Tochter des Earls.

Seine Hand fühlte sich rauer an, als die ihre, und dennoch prickelte ihr ganzer Körper. Sie entfernten sich immer weiter von der feiernden Gesellschaft, bis es so still um sie herum war, dass nur noch ihre Schritte zu hören waren. Als Rosie erkannte, dass sie ihm und seiner Anziehung nun ausnahmslos ausgeliefert war, schien ihr Herz aus ihrer Brust zu springen, ihre Knie wurden weich wie Wachs und ihr Mund so trocken wie die Wüste. Elektrisiert wie nach einem langen, anstrengenden, aber aufregenden Ritt lief sie weiter neben ihm, unfähig die Worte zu formen, die ihr gerade durch den Kopf gingen. Immer wieder huschte ihr Blick heimlich zu ihm, doch es schien, als könne er ihre Gedanken erraten, denn anstatt die kantigen Umrisse seines Profils begutachten zu können, blickte sie in eisiges Feuer. Und hinter diesem Feuer loderte die Begierde, der sie nach und nach nachgeben wollte.

"Sie... haben mir noch nicht Ihren Namen verraten..." stellte Rosie schließlich fest, als sie endlich den Kloß in ihrem Hals losgeworden war.
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#8
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona

Sie war entzückend. Er mochte, wie ihre Augen glänzten, wenn sie lachen musste, es aber nicht tat. Mochte, wie sich ihre Wangen verfärbten, wenn er sie nur lange genug betrachtete, und ihm gefiel, wie ihr Körper auf seine Stimme, seine Blicke und seine Bewegungen reagierte. Gewissermaßen, dachte Enrique und hätte fast gelächelt, spielte er sie wie ein leicht zu beherrschendes Instrument, dessen Klang sein schwarzes Herz liebkoste und seine meisterhaft kontrollierten Sinne benebelte, wenn er es zuließ. Es war lange her, dass er zuletzt eine solche Anziehungskraft gespürt hatte – aber es war auch lange her, dass er sich für so etwas interessiert hatte.

Der Blick des Spaniers verdunkelte sich unmerklich, als die Hand der schönen Rothaarigen die seine fand. Sie fühlte sich so klein und zart an, so zerbrechlich, dass er Angst hatte, sie zu zerquetschen, wenn er sie mit seiner umschloss. Dennoch tat er es, begann sie langsam, ohne eine Spur von Hektik, den dunklen Korridor entlang zu führen. Immer wieder begegnete er ihrem Blick, weil er spürte, dass sie ihn ansah, und fühlte sich unweigerlich an die flüchtigen, jedoch einprägsamen Momente im Ballsaal erinnert. Was war das nur, dass sie einfach nicht aufhören konnten, einander zu bewundern? Nun, um nicht zu lügen, Enrique war sich seines blendenden Aussehens durchaus bewusst. Als einziger Sohn des Duque de Cardona hatte er sich schon als junger Bursche das Gejammer seiner drei Schwestern anhören müssen, weil ihre Freundinnen stets nur wegen ihm zu Besuch kamen. An und für sich war es also nichts Neues für de la Cruz, im Zentrum jedweder Aufmerksamkeit zu stehen, gleichwohl er sich manchmal wünschte, es wäre nicht so.

„Hm“, machte er zustimmend, den Blick zur Abwechslung nach vorn gerichtet. Er ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er fortfuhr. „Aber ist es so nicht viel aufregender?“ Jetzt erst wandte er seiner bildschönen Begleitung den Kopf zu, ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen – ehe sein feines Gehör entfernte Stimmen vernahm. Ein Mann und eine Frau, die stetig näherkamen. Eine von Enriques Brauen hob sich, während er sein wachsames Augenmerk, auf der Suche nach einer Tür, die ihm gefiel, umherwandern ließ. Die erste, an der sie vorbeigekommen waren, war ohne Zweifel verschlossen gewesen. Die zweite auch, um etwaigen Turteltauben jedwede Hoffnung auf traute Zweisamkeit zu nehmen. Die dritte, vermutete de la Cruz, dessen Bauchgefühl ihn nur selten enttäuschte, würde offen sein, weil sich darin sowieso nur uninteressanter Krempel befand. Perfekt. Er bedachte die junge Dame neben sich mit einem charmanten Augenzwinkern – dann zog er sie mit sich, geradewegs zu der von ihm auserwählten Tür. Enrique hätte fast gelacht, als diese sich tatsächlich öffnen ließ, konnte sich aber zurückhalten und schob seine reizende Komplizin mit sanfter Stärke hinein, bevor auch er in das kleine, stockdunkle Zimmer schlüpfte, das nicht mehr als ein Abstellraum für saubere Bettwäsche zu sein schien. Er schloss die Tür bis auf einen schmalen Spalt, durch den immerhin genügend Kerzenlicht fiel, um die Konturen des feinen Gesichts wahrzunehmen, das sich unmittelbar vor seinem befand, nachdem er sich heimtückisch zu ihm heruntergebeugt und seine Besitzerin sanft gegen die Wand in ihrem Rücken geschoben hatte.
Indes wurden die Stimmen aus dem Korridor lauter. Es schien sich um zwei Bedienstete zu handeln, die sich allerdings keine Mühe gaben, schnell voran zu kommen. „Lass mich lieber nochmal nachsehen“, sagte der Mann, als die beiden in unmittelbarer Nähe zum Stehen kamen. „Ich sage dir, James, das brauchst du nicht. Ich bin jetzt seit über zwei Jahren hier, und es hat sich noch niemand über meine Art, die Kissen zu platzieren, beschwert“, antwortete das Mädel, die Arme stur unter der Brust verschränkt, während ihr Kollege das Zimmer nebenan aufsperrte, um einen prüfenden Blick hineinzuwerfen.

„Shh.“ Lächelnd, was sie natürlich nicht sehen konnte, hob Enrique derweilen seine freie Hand und legte sachte zwei Finger unter das Kinn seiner Mitgefangenen. Dieser Duft, dachte er wieder, und war sich plötzlich sicher, dass er ihn für den Rest seines Lebens in Erinnerung behalten würde. Langsam wich das Lächeln aus seinen Zügen, seine Lippen den ihren näherkommend – doch er hielt inne, als sein Nasenflügel kaum merklich den ihren berührte. „Ist die Señorita...“, wisperte er, während sich ihrer beider Atem zu einer betörenden Kombination vermengte, „...schon mal geküsst worden?“
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#9
Lady Roselyn Shaw

Rosie hatte die Hoffnung auf eine Antwort schon aufgegeben, doch als der mysteriöse Unbekannte schließlich weitersprach, kribbelte es erneut in ihrem Magen. Dass er ihr eine präzise Antwort schuldig blieb, störte Rosie nicht. Sie stimmte ihm insgeheim zu, auch weil sie so nicht in die unangenehme Situation kommen würde, ihn verraten zu können, sollte alles schief laufen. Sie kicherte daraufhin leise, doch das Flattern der Schmetterlinge in ihrem Bauch schlug schnell in ein flaues Gefühl von Panik um, als sie die Stimmen hinter sich hörte. Ohje, ohje, ohje. Sie selbst war starr vor Angst, da sie damit rechnete, dass es ihre Eltern waren. Auch wenn sie bis jetzt noch nichts verwerfliches getan hatte, die Tatsache, dass sie hier im dunkeln Korridor mit einem fremden, heißblütigen Südländer allein unterwegs war, obwohl sie eigentlich auf der Tanzfläche mit ihrem Verlobten sein sollte, würde sie und folglich auch ihre Familie in ein schlechtes Licht rücken.

Doch ehe sie sich aus ihrer Starre lösen konnte, wurde sie von ihrer Begleitung durch eine der Türen geschoben, die nicht abgeschlossen war. Es war stockdunkel und roch nach frisch gewaschenen Leinen. Die Wäschekammer! stellte Rosie erschrocken  fest, nicht weil sie damit rechnete, dass jemand zu dieser Zeit frische Bettwäsche benötigte, sondern vielmehr wegen all der unmoralischen Abenteuer, von denen Maggie ihr ständig erzählt. Und wenn es nach ihrem Begleiter ging, würde auch das hier wohl zu einem dieser Abenteuer werden, so wie er sie erneut sanft jedoch bestimmt gegen die Wand drückte. Sie sah nicht viel von ihm, doch sie spürte seinen Körper an ihrem und die Hitze, die er ausstrahlte. Ihre Brust hob und senkte sich hastig, sie hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, doch nicht weil es hier so stickig war. Dieses aufregende unsichtbare Feuer zwischen ihnen ließ ihren Körper noch wärmer werden. Kleine Schweißtropfen bahnten sich ihren Weg von ihrem Hals, ihrem Nacken und ihrem Dekolleté und hinterließen fein glitzernde Spuren auf ihrer Haut. Sie sog seinen Geruch tief ein, badete förmlich darin und ließ sich davon die Sinne vernebeln. Es war wir eine Droge, doch ohne die körperlichen Verfallserscheinungen, wie bei Opium.

Währenddessen unterhielten sich zwei Angestellte, deren Stimme sie vorhin gehört hatten, im Gang in unmittelbarer Nähe. Gerade als sie befürchtete, sie würden sie in ihrem Versteck entdecken, hörte Rosie, wie sie das gegenüberliegende Zimmer aufsperrten.
Sie schickte ein stilles Stoßgebet zu Gott, sie mögen sich beeilen und verschwinden, da sie Gefahr lief die Beherrschung und Contenance zu verlieren. Dieser Mann verlangte ihrer Tugendhaftigkeit gerade alles ab, schien aber wohl noch lange nicht fertig zu sein. Wie sollte Rosie diesen Abend nur überstehen?

“Ge…küsst?“ wiederholte sie seine Worte so leise, dass nur er es hören konnte. Sie konnte nicht klar denken: seine Nähe, sein Duft, die Hitze, dieses ungewohnte Prickeln zwischen ihren Beinen… Hatte sie schon mal jemanden geküsst?
Während sie ihre Erinnerungen durchforstete, hing ihr Blick an diesen verführerischen vollen Lippen, die sie gerade herausforderten.
Es wäre so leicht dieses letzte Stück, das sie von einem Kuss trennte, zu überwinden und dieses Feuer der Leidenschaft zu befriedigen, dass zwischen ihnen immer weiter aufloderte.

„Ja…“ hauchte Rosie schließlich. Er musste ja nicht wissen, dass sie im Alter von 6 Jahren mit dem gleichaltrigen Sohn des Stallmeisters “verheiratet“ gespielt und dabei ihre erste Erfahrung gemacht hatte, wobei dieses kindliche, unschuldige Spiel nichts im Vergleich zu dem hier war. Aber sie wollte sich nicht die Blöße geben, ihm ihre Jungfräulichkeit auf die Nase zu binden. Selbst ihren Eltern war es schon unangenehm, dass sie noch nicht unter der Haube und aus dem Haus war, während ihre kleine Schwester schon vielversprechende Anträge erhalten hatte.

Und dennoch…
“Wir dürfen das hier nicht!“
Sie wusste nicht, wie sie sich seinem Bann entziehen hatte können, doch sie wandte ihr Gesicht von ihm ab, sodass sie heimlich durch den Türspalt linsen konnte. Die beiden Bediensteten waren verschwunden, ohne dass sie es mitbekommen hatte. Hin und her gerissen, verharrte sie an Ort und Stelle, obwohl ein Teil von ihr zurück in den Gang und den Ballsaal wollte. Ein kleiner Teil zwar nur, doch ihr Pflichtgefühl hatte sich schon immer in den unpassendsten Moment zu Wort gemeldet.
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#10
Enrique de la Cruz, Duque de Cardona

De la Cruz lächelte ob des süßen Atems, der auf seine Lippen traf, als sie den Kern seiner Frage wiederholte. Leise, verunsichert, als ob ihr die Bedeutung des Wortes nicht ganz klar wäre. In Gedanken ermahnte er sich, dass es nicht an ihm war, ihren Horizont zu erweitern. Dass er diese besondere Ehre einem Mann überlassen sollte, dessen Pläne mit ihr mehr beinhalteten, als eine einzige aufregende Nacht. Aber ihre Lippen glänzten wie tausend Diamanten, lockten ihn näher, strapazierten seine Willenskraft. Die Versuchung war immens – doch Enrique war ein Meister seines Fachs, und er überspannte den Bogen sogar absichtlich, indem er seinen Blick langsam tiefer gleiten ließ und ihr sorgfältig eingebettetes Dekolleté betrachtete, das ihm mit jedem ihrer schweren Atemzüge ein Stück entgegen kam. Er vermutete, dass ihre Brüste perfekt in seine Hände passten. Ein sehr gefährlicher Gedanke, den er deshalb rasch beiseite schob.

Das zarte Ja aus ihrem Mund überzeugte Enrique nur in Maßen. Ungerührt lenkte er seinen Blick zurück in ihre blauen Tiefen, ahnte schon, was passieren würde, noch bevor sie wieder klar denken und ihn an die Unzulänglichkeiten ihrer Lage erinnern konnte. Er hatte natürlich vorausgesehen, dass sie einknicken würde. Nichtsdestotrotz musste er lächeln, während er einen Finger unter ihr Kinn legte, um ihr Gesicht auf hingebungsvolle Weise wieder dem seinen zuzuwenden. „Sie sind schrecklich süß.“ Er sah keinen Grund, ihr das zu verschweigen. „Nun gut, hinaus mit uns.“ Damit ließ er seine Hand sinken, zog die Tür auf und trat einen Schritt zurück, hinein in die Dunkelheit, um ihr den Vortritt zu lassen. Geduldig wartete er, bis sie sich aus der Starre, in die sie seine Taten versetzt hatten, löste und nach draußen schlüpfte. Der Spanier lachte leise in sich hinein, folgte ihr dann und schloss die Tür hinter sich.

Zugegeben: es war gut, wieder ordentlich sehen zu können. Kerzenlicht war doch wirklich was Feines. Was dem jungen Herzog allerdings gar nicht gefiel, war die Richtung, in die seine schöne Komplizin zu laufen drohte. „Hier geblieben.“ Kurzum hatte er sich ihre Hand geschnappt und sie sanft, aber mit Schwung zu sich herumgewirbelt. Da ihr federleichter Körper nicht die geringste Gegenwehr aufbot, wich Enrique einen Schritt zurück und fing sie geschmeidig auf, anstatt sie unkontrolliert gegen seine Brust prallen zu lassen. Das hätte wahrscheinlich keine großen Schäden verursacht, doch er war ein kräftiger Mann und sie, nach seinem Empfinden, so zerbrechlich wie Glas. Warm lächelnd fügte er hinzu: „Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.“ Obwohl man geneigt war, das anzunehmen, wenn man die glitzernden Schweißspuren bedachte, die ihre makellose, milchweiße Haut überquerten und in dem verheißungsvollen Tal zwischen ihren Brüsten endeten. De la Cruz, dessen Scharfsinn ihn wohl vorübergehend im Stich gelassen hatte, furchte bei jenem Anblick nachdenklich die Stirn. „Ist alles in Ordnung?“, hörte er sich fragen und war selbst ganz erstaunt über den Hauch von Besorgnis in seiner Stimme, der sonst ausschließlich seinen Schwestern vorbehalten war. „Sie sehen ein wenig mitgenommen aus.“
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